Der amerikanische Biologe Bernd Heinrich möchte einmal in einem schlichten Fichtensarg bestattet werden, irgendwo in den Wäldern von Maine im Nordosten der USA. Sein Herz soll den hungrigen Raben vermacht werden. Diesen extravagant anmutenden Wunsch äussert der Forscher am Ende seines Buches «Leben ohne Ende», in dem er wunderbar anschaulich den «ewigen Kreislauf des Lebendigen» schildert.
Der amerikanische Biologe Bernd Heinrich möchte einmal in einem schlichten Fichtensarg bestattet werden, irgendwo in den Wäldern von Maine im Nordosten der USA. Sein Herz soll den hungrigen Raben vermacht werden. Diesen extravagant anmutenden Wunsch äussert der Forscher am Ende seines Buches «Leben ohne Ende», in dem er wunderbar anschaulich den «ewigen Kreislauf des Lebendigen» schildert.
Eine besondere Rolle in diesem Prozess der Wiederverwertung kommt den sogenannten Leichenbestattern zu. So nennt Heinrich die Aasfresser, deren Funktion es ist, Kadaver zu zerlegen und die darin enthaltenen Nährstoffe in den Kreislauf der Natur zurückzubringen. Ein Vorgang, der für den Biologen alles andere als morbid ist, sondern im Gegenteil eine lebenspendende «Dienstleistung » darstellt. Sind es doch die Leichenbestatter wie Geier, Raben oder Totengräberkäfer, die den verstorbenen Organismen «den Weg zur Auferstehung in den Leben anderer bahnen».
Detailliert und bildhaft schildert Heinrich in den mit filigranen Illustrationen versehenen fünf Kapiteln des Buches, wie tierische Kadaver zu neuem Leben recycelt werden. Der Autor forschte lange über Käfer und gilt als Rabenexperte. Auf seinem Grundstück in den Wäldern von Maine legte er Elchkadaver aus, schrieb auf, wer sich wann und bei welcher Temperatur daran zu schaffen machte und wie lange es dauerte, bis ein Körper vollständig zerlegt war.
Allerhand Skurriles erfahren wir: Die Totengräberkäfer beispielsweise graben sich unter Mäusekadaver, um diese Beute anschliessend in ein sicheres Versteck zu bugsieren. Grössere Kadaver werden in Arbeitsteilung zerlegt: So beobachtete Heinrich, wie sich an einer toten Hirschkuh nacheinander Kojoten, Raben, Geier, Schmeissfliegen und Käfer gütlich taten. Die Knochen schliesslich dienten Stachelschweinen und Nagern zur Kalziumversorgung.
Nichts geht in dem grossen Recyclingprozess verloren, so eine Quintessenz des Buches. Bis ein Kadaver restlos zersetzt ist, kann es aber lange dauern. Die toten Körper von Pottwalen sinken Hunderte und Tausende von Metern in die Tiefe und nähren auf dem Weg zum Meeresgrund eine ganze Kette von Leichenbestattern. Während Haie in der Nähe der Oberfläche die grossen Brocken aus dem Kadaver reissen, besorgen Krebse, Würmer und Muscheln auf dem Meeresboden den Rest – ein Prozess, der mehrere Jahrzehnte dauern kann.
Heinrichs «Leben ohne Ende» ist das faszinierende Buch eines Forschers und Naturliebhabers, der von der grossartigen Zweckhaftigkeit und Klugheit unseres Ökosystems überzeugt ist. Natur ist für ihn ein System, das sich über Jahrmillionen bewährt hat und in seiner Komplexität oft noch unverstanden ist. Unbedachte menschliche Eingriffe bedrohen dieses Gleichgewicht nachhaltig. So sorgte die kulturelle Praxis, Kadaver zu entfernen, in den USA für eine dramatische Dezimierung der für den Kreislauf des Lebendigen so wichtigen Leichenbestatter unter den Tieren.
Das Buch schliesst mit einem fast hymnischen Plädoyer für die Verbundenheit mit der Natur. Im Wissen darum, dass wir Teil eines grösseren Ganzen sind, verliere auch der Tod seinen Schrecken, so die tröstliche Botschaft des Forschers. Im ewigen Kreislauf des Lebendigen gibt es kein Ende, sondern nur Neuanfänge. Nun wird auch klar, weshalb Heinrich sich nach seinem eigenen Tod eine «grüne» Bestattung mitten in der Natur wünscht. Die Raben werden es danken.
Bernd Heinrich: Leben ohne Ende. Der ewige Kreislauf des Lebendigen. Matthes & Seitz, Berlin 2019; ca. 35 Franken.