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Autorin: Martina Fehr
Freitag, 10. Februar 2023

Robert Indermaurs Figuren sind in Chur omnipräsent. (Bild: Chur Tourismus)

Kunst im öffentlichen Raum: für die einen überflüssiger «Gugus», für andere ein Grund, eine Stadt überhaupt erst zu erkunden. Sie kann einem Ort ein Gesicht, eine Identität verleihen – und sie kann seine Bewohner prägen.

«Kunst im öffentlichen Raum»: der Begriff war mir als Kind natürlich fremd. Doch in den Bann gezogen hat sie mich bereits vor 40 Jahren. Und das verdanke ich Robert Inder­maur. Die Wandmalereien und Skulpturen des 1947 geborenen Künstlers zieren die Gassen und Plätze der Stadt Chur. Die Menschen, die er lebensecht und voller Tiefe an den Wänden von Ge­bäu­den verewigt hat, üben bis heute eine magische Anziehungs­kraft auf mich aus.

Ich bin in Churwalden aufgewachsen. Wenn es damals hiess: «Wir gehen nach Chur!», dann bedeutete das: Kleider kaufen für die gesamte Familie. Eine Tortur, die an Langeweile nicht zu überbieten war. Trost fand ich in diesen eigenartigen Menschen an den Hauswänden. Sie liessen mich eintauchen in meine Traumwelt, liessen mich neue Geschichten erfinden für und über diese Figuren.

Komisch fand ich nur, dass man überhaupt an Hauswänden malen durfte. Doch meine Mama beruhigte mich: Diese Figuren seien «Kunst», sie gehörten zur Stadt. Ich müsse mir also keine Sorgen machen, sie würden nie übermalt. Die Angst, sie könnten eines Tages weg sein, blieb dennoch. Und tatsächlich verschwand über die Jahrzehnte auch die eine oder andere Wandmalerei aus dem Strassenbild.

Weshalb üben die Menschen von Indermaur solch eine Faszination aus ? Es sind wohl die liebevollen Details, ihre Lebensechtheit, ihre Melancholie und Ausdrucksstärke; es ist diese besondere Magie, die aus ihnen spricht. Häufig passiert es, dass sie auf den ersten Blick für echte Menschen gehalten werden und Betrachterinnen verblüfft stehen bleiben. Da gibt es das streitende Pärchen, deutlich auf Distanz zueinander, er geknickt zu Boden blick­end, sie in vorwurfsvoller Haltung, ihm wohl die Leviten lesend. Oder der wartende Mann mit dem nicht mehr so frisch wirkenden Blumenstrauss in der Hand. Der kläffende Hund, der es auf eine junge Frau abgesehen hat. Oder die Oma mit dem Hündchen, das sich partout nicht mehr weiterbewegen will. Diese Figuren inspirierten mich, eine neue Geschichte für sie zu erfinden – die meisten mit Happy End.

Sehr viel später bin ich auf dieses Zitat des Künstlers gestossen: «Ich versuche, in meiner Arbeit menschlichen Zielen, Absichten und Träumen nachzuspüren. Ich versuche, geistige Räume zu schaffen, in denen die Hoffnung lebt, dass wir eine Zukunft haben und dass wir imstande sind, diese positiv zu gestalten.» Fast war ich erleichtert, als ich das las, denn das Happy End in meinen Geschichten: es war also nicht Kitsch, sondern durchaus in der Absicht des Künstlers.

Noch heute gehe ich an diesen Kunstwerken vorbei und denke über die unzähligen Geschich­ten nach, die ich über Indermaurs Menschen gesponnen habe. Oder muss schmunzeln bei dem Gedanken, welche «Plots» ich den Gestalten schon angedichtet habe.

Chur ist inzwischen zu meiner Heimat geworden. Robert Indermaur hat daran kräftig mit­gewirkt. Seine Figuren sind zu Vertrauten, zu Weggefährten geworden. Womit der Beweis erbracht wäre: Kunst im öffentlichen Raum – sie wirkt, sie bewegt! Kein «Gugus», sondern eine identitätsstiftende Bereicherung fürs Leben.

  • N° 1/2023

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