Ins Gespräch vertieft sind Literaturwissenschaftler Werner Morlang (links) und Schriftsteller Gerhard Meier. Fotografie: Werner Gadliger, Zürich
Ins Gespräch vertieft sind die beiden Gehenden auf dieser Fotografie, heiter, gelassen, ganz bei sich und beieinander. Mehr noch: Sie sind dieses Gespräch, wie es in Friedrich Hölderlins Hymne «Friedensfeier» heisst: «Viel hat erfahren der Mensch. Der Himmlischen viele genannt, / Seit ein Gespräch wir sind / und hören können voneinander.» Der Schweizer Fotograf und Künstler Werner Gadliger hat das Bild vor rund zwanzig Jahren in Zürich aufgenommen. Es zeigt den Literaturwissenschaftler Werner Morlang (links) und den Schriftsteller Gerhard Meier. Die Szene ist nicht gestellt: Die beiden waren Freunde und pflegten über Jahre einen lebhaften Austausch. Der umfängliche Band ihrer «Amrainer Gespräche» mit dem Titel «Das dunkle Fest des Lebens» legt Zeugnis davon ab.
Wo liegt Amrain? Es ist Meiers dichterisches Alias für das 5000-Seelen-Dorf Niederbipp am Jurasüdfuss, auf halbem Weg zwischen Olten und Solothurn. Hier ist er geboren, im Elternhaus hat er die meiste Zeit seines Lebens gewohnt – und er hat den Ort mit seinen Werken auf der Karte der Weltliteratur eingetragen, namentlich mit der Tetralogie um die Dienstkameraden Baur und Bindschädler, die sinnierend die Gegend durchwandern.
Baur und Bindschädler, Meier und Morlang: Die Bilder schieben sich in meiner Vorstellung übereinander. Dienstkameraden waren Gerhard Meier (1917–2008) und Werner Morlang (1949–2015) nicht. Sie hätten Vater und Sohn sein können. Auf diese Idee wäre man allerdings nicht gekommen, wenn man sie sah: Sie begegneten sich auf Augenhöhe.
Gerhard Meier habe ich ein wenig gekannt und als Dichter bewundert; gelegentlich haben wir einander geschrieben. Werner Morlang aber war einer meiner engsten Freunde; über Jahrzehnte trafen wir uns im kleinen Kreis von Büchernarren jeden Dienstag in einem Zürcher Antiquariat, um die Neueingänge zu durchstöbern; danach ging’s in die Beiz. Auch sonst kreuzten sich unsere Wege oft, und wir liebten es, stundenlang zu telefonieren. Werner war nie in Eile. Sich mit ihm einzulassen war so, als schlüge man einen tausendseitigen Roman auf. Seine Belesenheit war furchterregend. Er öffnete mir die Augen für Robert Walser, den er entzifferte und edierte, und erschloss mir immer wieder literarisches Neuland.
Die Fotografie zählt zu denen, die ich in meiner Bibliothek stets um mich habe. Besonders kostbar ist sie mir, weil sie von Werner Gadliger stammt. Er ist, neben Werner Morlang, der zweite «wichtige Werner» in meinem Leben, ein wunderbarer Mensch und Künstler. Ich liebe seine von feinem Humor durchwirkten Zeichnungen und Collagen. Er ist ein versonnener Poet und sanfter Anarchist: fast eine Figur von Robert Walser. Vor allem aber ist er ein hervorragender Fotograf. Seine Aufnahmen von Jean Tinguely, Hanny Fries, Roman Signer, Nora Iuga und vielen anderen erfassen die ganze Person präzis. Auf dem Bild sehe ich Morlangs Herzlichkeit ebenso wie Meiers offenen Blick in die Welt und über sie hinaus, seine Neugier auf das Unbekannte, Jenseitige, die in seinem Werk unterschwellig immer präsent ist.
Werner Gadliger ist ein Augenmensch, zugleich ein aufmerksamer Zuhörer. Deshalb gelingt es ihm so gut, Begegnungen zu erfassen. Sooft ich diese Fotografie anschaue, höre ich vertraute Stimmen und denke mit William Faulkner: «Das Vergangene ist nicht tot. Es ist noch nicht einmal vergangen.»