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Freitag, 17. März 2023

Ich bin komplett fasziniert von den phantastischen Karton-Welten, die der Zürcher Künstler Patrick Graf (*1981) in aufwendigster Detailarbeit fabriziert. Eine der verrücktesten ist sicher die «Soldevische Ausgrabungs­stätte», die Graf 2018 in der Galerie Katz von Kuratorin Frédérique Hutter zeigte und die auch im Haus der Kunst Uri ausgestellt war. Es handelt sich dabei um eine monumentale, raumfüllende Installation, die verschiedene Geräte und Situationen einer fiktiven archäologischen Grabung zeigt – alles aus Karton gebaut.

Man sieht eine aufgebrochene Wand, möglicherweise roter Schiefer. Davor steht ein gelber Riesen­apparat von einem Bohrer, der die Wand gerade aufgebrochen zu haben scheint. Im Raum verteilt finden sich ausserdem Scheinwerfer, Messgeräte, verschiedene Werkzeuge, ein Regal mit ausgegrabenen Artefakten sowie eine «Grube», in der gerade ein Skelett freigelegt wird. Alles, jedes kleinste Detail, ist aus Pappe. Sogar die Kabel, die durch den Raum laufen und bei einer Kabelrolle zusammenkommen.

Die «Soldevische Ausgrabungsstätte» orientiert sich am obskuren Sammelkartenspiel «Magic: The Gathering», in dem eine Karte namens «Soldevi Digger» existiert. Darauf zu sehen ist ein Gerät, mit dem man nach Artefakten unter der Erde gräbt. Alles spielt sich im Kopf der Spieler ab. Aber eben nicht bei Patrick Graf: Er baut daraus ein ganzes, real begehbares Raumerlebnis. Weil er selbst seit 1994 diesem Kartenspiel verfallen ist, spinnt er die darin enthaltenen Geschichten ins Reale weiter, mit Schere, Cutter, Leim, Lack und viel, viel Karton. Zudem verquirlt er die soldevische Karte mit Figuren aus der TV-Sitcom «Hör mal, wer da hämmert» – die Geräte in seiner Installation tragen Kürzel, die an die Namen der Protagonisten dort erinnern.

Patrick Graf, der 2008 sein Kunststudium an der ZHdK abschloss und seither auf eigene Faust tätig ist, bezieht seine Inspirationen aus Fantasy-Erzählungen, Comics, Kinderbüchern, TV, Trashfilmen und Steampunk. Man weiss bei ihm nie so ganz genau, was davon er wirklich ernst meint. Wer ihn einmal live erlebt hat – Graf ist selbst oft Protagonist in seinen Installationen, er trägt dabei häufig selbstgebaute Kostüme –, der wird es verstehen: Es ist nicht ganz klar, ob er wirklich verrückt oder einfach nur wahnsinnig schlau ist, wie er da selbst mit seiner Phantasiewelt verschmilzt.

Was auch immer zutrifft: Graf ist ein kindlich-genialer Inszenierer und ausserdem ein Bricolage-Handwerker, vor dessen Fertigkeiten ich meinen Hut ziehe. Im nächsten Leben hätte ich gerne irgendwo ein ganzes Haus, in dem Graf in jedem Raum eine fiktive Karton-Erlebniswelt aufgebaut hat. Bis dahin drücke ich mir an anderen Orten die Nase platt, etwa an den Schaufenstern des französischen Luxuslabels Hermès, für das Patrick Graf 2019 und 2020 Weihnachtsinstallationen aus Karton gefertigt hat.

  • N° 2/2023

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