

In seinem Werk spiegelt der Künstler und Schriftenmaler Dennis Flachsmann die sozialen Schwierigkeiten Amerikas. Etwa hier im Werk LA Gambit von 2022. (Bild: Dennis Flachsmann, zVg)
Als Dennis Flachsmann, Inhaber des gleichnamigen Schriftateliers in Zürich, 2021 in Los Angeles die Kamera zückte, wollte er eine für ihn surreale Szene festhalten: zwei tief in ein Schachspiel versunkene Menschen vor dem glamourösen Hintergrund des Venice Beach, dem pulsierenden, touristischen Strand der Muskelmänner, Selbstdarsteller und Strassenhändler. Zurück in der Schweiz liess ihn das Bild nicht mehr los.
Er recherchierte, dass der «Venice Beach Knights Chess Club» Schachspielern, darunter Randständigen und Obdachlosen, die Möglichkeit bietet, tageweise Schach zu spielen. Für fünf Dollar ist man Tagesmitglied, für zwanzig Dollar lassen sich Mitgliedschaften spenden. Während der Pandemie hatte sich die desolate Situation der Obdachlosen in Los Angeles weiter verschärft, und der Venice Beach war einer der Orte, wo die Welt der Randständigen mit dem Glamour der Grossstadt zusammentraf – unter anderem beim Schachspiel.
Zurück in der Schweiz begann Flachsmann zu zeichnen: Digital mischte er seine Bilder der beiden Schachspieler mit Titeln und Zeitungsartikeln der «Los Angeles Times» aus seiner Recherche über Obdachlose. Der Effekt seines Werkes zeigt sich den Betrachtern erst auf den zweiten Blick: Die beiden Männer schweben quasi über dem Bild und verschmelzen gleichzeitig mit den Zeitungstiteln. Was daraus resultiert, nennt Flachsmann «digital hybrid painting»; seine künstlerische Passion neben seinem nicht minder künstlerischen Beruf als Schriftenmaler.
Das Bild war Teil einer Ausstellung Flachsmanns in unserer Wohngemeinde Zumikon bei Zürich. Wie fast immer stach das Werk zuerst meiner Frau ins Auge. Es dominierte die Ausstellung förmlich, und es dauerte nicht lange, bis klar wurde, dass es dem Künstler speziell am Herzen liegt. Seit letztem November hängt es bei uns zuhause.
Die Vielschichtigkeit des Werkes fasziniert auf seine ganz eigene Art und Weise, wie ich mehrmals pro Tag feststelle: Das mit 64 × 38 cm eher kleine und in seiner Farbwahl schlichte Bild strahlt die Ruhe und Klarheit zweier Menschen aus, die in ihr Schachspiel vertieft sind. Die Zeitungsartikel und Titel sorgen für Tiefe und Faszination. Hier zeigt sich die Profession des Schriftenmalers, der in verschiedenen Prozessschritten die Textpassagen digital hinzugefügt hat. Bei der Lektüre der Zeitungstitel frage ich mich ab und zu, ob einer der Schachspieler obdachlos ist? Oder vielleicht auch beide?
Welchen persönlichen Hintergrund diese beiden Männer auch haben: Wahrscheinlich bezeichnet der Begriff «Würde» am besten das, was sie ausstrahlen.