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«Immer zwei und zwei» von Tabea Steiner

Eine junge Mutter befreit sich aus dem engen Korsett ihrer freikirchlichen Gemeinde. Doch was als Emanzipationsgeschichte angelegt ist, zementiert in Wahrheit die patriarchalen Verhältnisse.
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Freitag, 26. Mai 2023

Nach ihrem Erstling «Balg», der 2019 für den Schweizer Buchpreis nominiert war, hat Tabea Steiner heuer ihren zweiten Roman veröffentlicht. In «Immer zwei und zwei» tauchen die Leserinnen ein in den Alltag der Lehrerin, Bildhauerin und Mutter Natali in einer freikirchlichen Gemeinschaft. Über knapp 200 Seiten schildert Steiner, wie sich Natali sukzessive aus einem zu eng gewordenen traditionellen Familienarrangement und einer konservativen Glaubensgemeinschaft herausbewegt.

In der Eingangsszene steht die junge Natali zusammen mit einem anderen Mädchen vor einem Geschäft und spricht eine wildfremde Frau an: ob sie für sie beten dürfe? In der Schlussszene werden Natali und ihre neue Liebe Kristin von einer jungen Frau angesprochen: ob sie für sie beten dürfe? Diese Umkehrung, ja dieser Seitenwechsel, markiert Natalis geglückten Ausstieg aus der freikirchlichen Gemeinschaft.

Leider ist vieles in diesem Roman ähnlich dichotom und vereinfacht dargestellt. Hier die lesbische, intellektuelle freischaffende Pfarrerin Kristin, in die sich Natali verliebt, dort der paternalistische Pfarrer, der das traditionelle Familienbild propagiert. Da die erwerbstätige, künstlerische Mutter Natali, die sich zusehends von ihrer Gemeinschaft entfremdet, dort die ledige, kinderlose Rosalie, die sich im Laufe des Romans doch noch für die Ehe und das Leben in der Freikirche entscheidet. Mit solchen Gegenüberstellungen reduziert Steiner ihre Figuren auf schematische Positionen, anstatt ihre Entwicklungen, ihr Begehren und ihre Handlungsmacht nachvollziehbar zu machen.

Eigentlich ist die Anlage des Romans denkbar spannend. Mit dem Fokus auf Natalis Emanzipationsgeschichte dreht Steiner ein Narrativ um, das sich seit der Etablierung der sogenannten Säkularisierungsthese hartnäckig hält: dass Frauen religiöser seien als Männer und darum eher zu religiösen Gruppierungen finden respektive in ihnen verbleiben. In «Immer zwei und zwei» sind es nun aber die Frauen, die ihre Plätze in den Gemeinschaften in Frage stellen und sich teilweise davon distanzieren. Dagegen wirken die Männer – etwa Natalis Noch-Ehemann Manuel und Rosalies Bald-Ehemann Tobias – wie hilflose, brave Schuljungen, die nur ja nicht aus der männlich geprägten Gesellschaftsordnung herausfallen wollen.

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