Nach ihrem Erstling «Balg», der 2019 für den Schweizer Buchpreis nominiert war, hat Tabea Steiner heuer ihren zweiten Roman veröffentlicht. In «Immer zwei und zwei» tauchen die Leserinnen ein in den Alltag der Lehrerin, Bildhauerin und Mutter Natali in einer freikirchlichen Gemeinschaft. Über knapp 200 Seiten schildert Steiner, wie sich Natali sukzessive aus einem zu eng gewordenen traditionellen Familienarrangement und einer konservativen Glaubensgemeinschaft herausbewegt.
In der Eingangsszene steht die junge Natali zusammen mit einem anderen Mädchen vor einem Geschäft und spricht eine wildfremde Frau an: ob sie für sie beten dürfe? In der Schlussszene werden Natali und ihre neue Liebe Kristin von einer jungen Frau angesprochen: ob sie für sie beten dürfe? Diese Umkehrung, ja dieser Seitenwechsel, markiert Natalis geglückten Ausstieg aus der freikirchlichen Gemeinschaft.
Leider ist vieles in diesem Roman ähnlich dichotom und vereinfacht dargestellt. Hier die lesbische, intellektuelle freischaffende Pfarrerin Kristin, in die sich Natali verliebt, dort der paternalistische Pfarrer, der das traditionelle Familienbild propagiert. Da die erwerbstätige, künstlerische Mutter Natali, die sich zusehends von ihrer Gemeinschaft entfremdet, dort die ledige, kinderlose Rosalie, die sich im Laufe des Romans doch noch für die Ehe und das Leben in der Freikirche entscheidet. Mit solchen Gegenüberstellungen reduziert Steiner ihre Figuren auf schematische Positionen, anstatt ihre Entwicklungen, ihr Begehren und ihre Handlungsmacht nachvollziehbar zu machen.
Eigentlich ist die Anlage des Romans denkbar spannend. Mit dem Fokus auf Natalis Emanzipationsgeschichte dreht Steiner ein Narrativ um, das sich seit der Etablierung der sogenannten Säkularisierungsthese hartnäckig hält: dass Frauen religiöser seien als Männer und darum eher zu religiösen Gruppierungen finden respektive in ihnen verbleiben. In «Immer zwei und zwei» sind es nun aber die Frauen, die ihre Plätze in den Gemeinschaften in Frage stellen und sich teilweise davon distanzieren. Dagegen wirken die Männer – etwa Natalis Noch-Ehemann Manuel und Rosalies Bald-Ehemann Tobias – wie hilflose, brave Schuljungen, die nur ja nicht aus der männlich geprägten Gesellschaftsordnung herausfallen wollen.
Natalis Befreiungsgeschichte trägt den Roman und hilft, ihn bis zum Schluss zu lesen. Aber insgesamt bleiben die psychologischen Beweggründe der Figuren unklar oder wirken schablonenhaft. Alle scheinen sie gleichsam Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse zu sein, anstatt Handelnde darin. Das aber wirkt unglaubwürdig – gerade in Bezug auf Natali, die ihr Leben aktiv selbst gestalten möchte und sich für ihre neue Liebe und gegen die alte Ehe entscheidet.
Entgegen dem Titel «Immer zwei und zwei», der an die Geschichte von der Arche Noah denken lässt, ist Steiners Roman nicht bevölkert von Paaren, sondern von einer Vielzahl verschiedener Frauenfiguren. So kommen neben Natali, Rosalie und Kristin auch Natalis Töchter Suli und Abi vor, Natalis Schwiegermutter, Kristins Beinahe-Liebe Marlen oder Susanne und Charlotte, die ebenfalls zur Gemeinde gehören. Alle setzen sich auf je eigene Weise mit ihrem religiösen Umfeld auseinander, was ihnen je nach Lebenssituation mal leichter, mal schwerer fällt. Hätten die Autorin und der Verlag bloss den Mut gefunden, die vielfältigen Beziehungen und Differenzen unter den Frauen herauszuarbeiten, anstatt immer wieder auf die patriarchale Zweierordnung, die mit dem Titel noch zementiert wird, zurückzukommen. Dann wäre Steiner eine ähnlich aufregende Erzählung gelungen wie Miriam Toews mit «Die Aussprache», in der Frauen aufgrund von sexualisierter Gewalt in ihrer mennonitischen Gemeinde tagelang miteinander über die Zukunft verhandeln (vgl. bref 19/2019). So zaghaft aber überzeugt Tabea Steiners Zweitling leider weder aus feministischer noch aus religionsbezogener Perspektive.
Tabea Steiner: «Immer zwei und zwei». Edition Bücherlese, Luzern; 208 Seiten; 24.80 Franken.