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Autorin: Anette Gehrig
Donnerstag, 14. November 2024

«Alfred Freyschmidts konsequente Flucht aus der Zivilisation scheiterte letztlich an seiner unverzichtbaren Brille!» © Gerhard Glück, 2008.

Alfred Freyschmidt möchte – wie es schon sein kaum zufällig gewählter Name andeutet – frei sein, seines eigenen Glückes Schmied. Zurück zur Natur will er, und zwar konsequent. Er legt seine Kleider ab und hofft, damit alle lästigen Zwänge hinter sich zu lassen. Dummerweise ist er arg kurzsichtig. Ohne Brille – den Moment dieser niederschmetternden Erkenntnis hat der deutsche Künstler Gerhard Glück in seinem Bild festgehalten – sähe er weder den Schmetterling vor seiner Nase noch Essbares oder sonst etwas, das zum Überleben wichtig ist.

Der Zivilisationsflüchtling, und das ist uns beim Betrachten von Glücks Gemälde klarer als Herrn Freyschmidt, ist auch mit Brille nicht fit für eine längere oder gar definitive Abstinenz von der modernen Welt. Er trägt zwar mit einem gut sichtbaren Wohlstandsbauch etwas Reserve mit sich herum, aber es scheint ihm doch an vielem zu fehlen, um sich im Wald zu behaupten.

Der bis auf seine Brille nackte Herr Freyschmidt macht sich darum ein wenig lächerlich. Und reiht sich damit in die vielen schrulligen Antihelden und Antiheldinnen ein, die Gerhard Glück in seinen humoristischen Bildern porträtiert.

Kontrastiert und verstärkt werden menschliche Unzulänglichkeiten oft durch die wunderschöne, in sich ruhende Natur, die auch den Abenteurer Freyschmidt umgibt. Auf sie verwendet Glück wie immer viel Liebe und malerisches Geschick. Ihre ungebrochene und wahrhaftige Schönheit bildet die geduldige Kulisse für die meist skurrilen Vorhaben der stilisierten Protagonisten im Vordergrund.

Mir gefällt, wie Gerhard Glück hier dem Gesetzten, Immergleichen und Ereignislosen mit Unerwartetem, Phantasie, Chaos und Farbe begegnet. Ob er bekannte Kunstwerke, weltpolitische Entwicklungen oder gesellschaftliche Konventionen aufs Korn nimmt: Sein altmeisterlich realistischer und gleichzeitig naiver Malstil täuscht nur auf den ersten Blick über den bissigen Humor hinweg, mit dem er seine Arbeiten unterlegt.

Der 1944 in Bad Vilbel geborene Gerhard Glück studierte in Kassel Werbegrafik und Kunsterziehung, bevor er ab 1972 mit ersten Cartoons, Titelbildern und Illustrationen in Zeitungen und Magazinen auf sich aufmerksam machte. Seit 1991 erscheinen seine Cartoons monatlich im «NZZ Folio», seit 1994 ebenfalls im Satiremagazin «Eulenspiegel».

Glück illustrierte Bücher von Heinz Erhardt und Joachim Ringelnatz, seine Arbeiten waren zudem in Einzel- und Gruppenausstellungen unter anderem im Caricatura Museum in Frankfurt und im Museum Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur & Zeichenkunst zu sehen. Glück ist einer der bekanntesten Vertreter der komischen Kunst; er wurde 2000 und 2005 mit dem Deutschen Karikaturenpreis in Gold geehrt sowie 2017 mit dem Göttinger Elch für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Insbesondere die Kunstparodien Glücks weckten das Interesse von Dieter Burckhardt (1914–1991), dem Basler Mäzen und Gründer des Cartoonmuseums Basel, der die Werke des Künstlers schon früh sammelte. Nun kehren der Meister, der dieses Jahr achtzig wurde, und seine hintersinnigen Malereien ins Cartoonmuseum zurück.

«Gerhard Glück. Das einfache Leben», Ausstellung im Cartoonmuseum Basel, 16. November 2024 bis 9. März 2025.

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