Als Militärdienstverweigerer war Frieden für mich immer ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt. Bis mit Beginn des 2. Golfkriegs mein Pazifismus auf eine harte Probe gestellt wurde. Meine israelische Freundin war gerade bei ihrer Familie in Haifa zu Besuch, als Saddam Husseins Raketen im Januar 1991 die Stadt im Norden Israels erreichten. In Hamburg, fernab vom Bombenhagel und doch ganz nah, suchte ich die Nähe meines jüdischen Freundes Moshé. Gemeinsam sass ich mit ihm und seiner in der Friedensarbeit engagierten Freundin Gerlinde in der Küche. Wir diskutierten die Ereignisse in Israel, als Gerlinde plötzlich sagte: «Für den Weltfrieden ist es besser, wenn Israel geopfert wird. Sonst kommt es dort unten niemals zur Ruhe!» Moshé giftete umgehend zurück: «Was für eine Ruhe sollte das denn sein? Eine jüdische Friedhofsruhe?» Bald darauf packte er seine Koffer und wanderte nach Israel aus. Dort liess er sich zum Rabbiner ausbilden.
Vor zwei Jahren traf ich ihn in der Altstadt von Jerusalem wieder. Ein alter Mann mit Bart. Wir sassen in einer kleinen Stube bei Pfefferminztee und landeten einmal mehr beim Thema Frieden. «Warum zieht sich der Frieden durch alle Schriften?» fragte Moshé mich, um die Antwort gleich selbst zu geben: «Weil er dort so selten vorkommt.» Tatsächlich ist die Bibel voller Gewalt. Krieg, Vergewaltigungen, Mord und Totschlag kaum ein Mittel wird zwecks Erlangung von Macht und Überlegenheit ausgelassen. Und überhaupt sei das Verhältnis von eurem Jesus zu Frieden ziemlich widersprüchlich, fuhr Moshé fort: «Einerseits ist er Weltenrichter mit Feuer und Schwert, andrerseits Bergprediger, der seinem Feind auch noch die andere Wange hinhält. Was gilt denn nun?»
Ja, was gilt? Mit fortschreitendem Alter habe ich verstanden, dass die Friedenstaube von allen Seiten gerupft wird. Alle wollen Frieden, die Frage ist nur, zu wessen Preis. Das hatte ich spätestens damals in der Küche bei Moshé und Gerlinde verstanden. Als Pazifistin dem Frieden zuliebe Terror in Kauf zu nehmen erschien mir nur noch zynisch und verrückt. Zudem ist es ein leichtes, als Verfechterin des Friedens aufzutreten, ohne in der Auseinandersetzung eigene Aktien zu halten.
Ein altes Sprichwort besagt, dass, wer Frieden will, den Krieg vorbereiten muss. Nur so könne im Notfall Schlimmeres verhindert werden. Das stimmt. Inzwischen ahne ich aber auch: Friede darf nicht herrschen. Er muss einkehren. Und damit er einkehrt, braucht es Versöhnung. Die kann allerdings nur gelingen, wenn Menschen sich nicht als Sieger und Besiegte gegenübertreten. Wer Frieden will, bereite den Frieden vor – das gilt im Nahen Osten ebenso wie vor der Scheidungsrichterin.
BILD: QUAGGA MEDIA AG