Félix González-Torres, «Untitled» (Perfect Lovers), 1987–1990. (Bild: Flickr / Diogo Valério)
Die Sekundenzeiger der beiden Wanduhren springen genau im gleichen Takt. Perfekt synchron ziehen sie ihre Kreise auf dem Zifferblatt. Wie für viele seiner Arbeiten schlägt Félix González–Torres auch hier zwei Titel vor: «Untitled» (Perfect Lovers).
Es sind handelsübliche Wanduhren, weisses Zifferblatt, schwarzer Rahmen, Durchmesser 13,5 Inch, also rund 35 Zentimeter. Sie werden auf die exakt gleiche Zeit gestellt und oberhalb Kopfhöhe an der Wand befestigt, so dass sie sich an einer Stelle berühren. Ab diesem Zeitpunkt laufen sie im gleichen Rhythmus. Sekunde um Sekunde, Stunde um Stunde, Woche für Woche. Bis sie irgendwann aus dem Takt geraten.
Die Energiequelle, die Batterie, versiegt, eine der Uhren wird langsamer. Die Verzögerung vollzieht sich zunächst schleichend, bis die Uhren schliesslich offensichtlich aus dem Takt sind. Die Uhren werden immer langsamer, bis eine irgendwann ganz stillsteht.
Ich stelle mir vor, die Uhren seien zwei Menschen, zwei Liebende. Auch ihre Herzen schlagen im gleichen Takt. Doch irgendwann geraten sie aus dem Rhythmus. Jeder Mensch hat eine Lebenszeit, bei jedem läuft sie eines Tages ab. Bei den meisten Liebenden geschieht es nicht gleichzeitig. Jemand geht voraus, jemand bleibt zurück.
Es ist eine schmerzhafte Gewissheit. Weil sie so absolut ist. Jede Beziehung endet, ausnahmslos, sei es durch Veränderung oder die Zeit selbst. Memento mori: Erinnere, dass du sterblich bist.
Dieses Thema in der zeitgenössischen Kunst zu verhandeln ist anspruchsvoll, insbesondere in Bezug auf eine Liebesbeziehung. Der Grat zwischen Kitsch und Pathos ist schmal. Doch González- Torres balanciert gekonnt. Es berührt mich, wie er diese grosse Erzählung des menschlichen Lebens mit zwei Alltagsgegenständen zeigt.
Leben und Arbeit von Félix González-Torres sind eng mit der Aids-Epidemie verbunden. Vor allem in den USA hat das Virus viele Todesopfer gefordert. Auch Ross Laycock, der Partner von Félix González–Torres, starb 1991 an den Folgen von Aids. «Perfect Lovers» ist datiert auf dieses Jahr.
Das ist es, was mich an dieser Installation und allgemein am Werk von González-Torres berührt. Seine Arbeiten verhandeln die grundlegenden Themen des menschlichen Lebens, die Conditio humana. Als Material nutzt er Alltagsgegenstände wie Wanduhren, Glühbirnen, Süssigkeiten oder Kopierpapier. Durch minimale Eingriffe und präzise Titel lädt er die Objekte auf und öffnet neue Gedankenräume.
Diese Objekte werden in Massenproduktion hergestellt. Sie sind vergänglich und leicht zu ersetzen. In dieser Reproduzierbarkeit liegt auch ein gewisser Trost. Der einzelne Moment, das einzelne Leben, ist vergänglich. Und doch folgt auf einen Moment der nächste, auf ein Leben ein neues.
Auch bei den Wanduhren kann die Batterie ersetzt werden. Sobald eine der beiden stillsteht, kann das Museumspersonal die Batterie austauschen. Beide Uhren werden wieder auf die gleiche Zeit gestellt, das Kunstwerk kann so theoretisch ewig weiterlaufen. Es ist ein andauernder Kreislauf. Vergänglich und gleichzeitig unendlich.