Der ehrliche Klappentext

«Dürrenmatt and me. Eine Passage von Burma nach Bern» von Wendy Law-Yone

Als junge Frau stösst Wendy Law-Yone in Rangun zufällig auf ein Buch von Friedrich Dürrenmatt. Jahre später tritt sie in Bern eine Gastprofessur zu Ehren des Jahrhundertschriftstellers an. In «Dürrenmatt and me» erzählt sie anekdotenreich und persönlich, wie der Autor ihr Leben und Schreiben geprägt hat.
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Freitag, 15. Oktober 2021

1962 schrieb Friedrich Dürrenmatt in seinen «21 Punkten zu den Physikern»: «Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.» Ein Satz, der auch als Leitmotiv über Leben und Werk der 1947 in Zentral-Burma geborenen und in Rangun aufgewachsenen Autorin Wendy Law-Yone stehen könnte. Im selben Jahr, als Dürrenmatt diesen Satz verfasste, fand in der Heimat der Autorin ein Militärputsch statt. Dabei wurde ihr Vater, Gründer der ersten englischsprachigen Zeitung des Landes nach dessen Unabhängigkeit 1948, verhaftet. Mit der Inhaftierung waren auch die Studienpläne der damals 17jährigen Wendy dahin. Anstatt in Kalifornien Kunst zu studieren, landete sie nach einem Fluchtversuch für kurze Zeit im Gefängnis.

In den Jahren darauf entdeckte sie über die Freundin ihres Bruders die deutsche Sprache. Was dann folgte, war eine wundersame Begegnung mit einem Stück Schweizer Literaturgeschichte: Als Wendy im Goethe-Institut von Rangun mithalf, seine Bibliothek aufzulösen, fiel ihr das Buch «Der Besuch der alten Dame» in die Hände. Dürrenmatts Tragikomödie wird den Lebensweg von Wendy Law-Yone massgeblich prägen.

Irgendwann gelang es ihr, zuerst nach Thailand und dann in die USA auszuwandern. Dort verfasste sie einen Essay über Dürrenmatt, der ihr ein literaturwissenschaftliches Studium an amerikanischen Universitäten ermöglichte. Die Begegnung mit Dürrenmatt führte sie aber auch zum eigenen Schreiben. Zuerst als freie Journalistin, später als Schriftstellerin. In ihren Büchern setzte sie sich immer wieder mit dem Geschick ihrer Heimat auseinander, so bereits in ihrem ersten, 1983 erschienenen Roman «The Coffin Tree».

Dies und noch einiges mehr erzählt die burmesisch-amerikanische Autorin in ihrem Buch «Dürrenmatt and me». Dabei spielt sie mit viel Humor immer wieder auf die seltsamen Zufälle an, die ihr Leben bestimmten. Der im Buch auf Deutsch und Englisch abgedruckte Text entstand im Herbst 2015, als Wendy Law-Yone die Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern innehatte. Darin beschreibt die Autorin unter anderem, was sie ihm literarisch zu verdanken hat und wie sich sein Einfluss in ihren eigenen Büchern spiegelt. Explizit zum Tragen kam Dürrenmatt insbesondere in Law-Yones zweitem Roman von 1993. Dessen Titelheldin «Irrawaddy Tango» ist nichts anderes als eine burmesische Version der «alten Dame» (die sich dank ihrem tänzerischen Talent aus bescheidenen Verhältnissen zur Frau des Diktators eines südostasiatischen Landes hochzuarbeiten vermag, diesem später mit einem Rebellen untreu und dann ins USA-Exil vertrieben wird, um am Ende ins Heimatland zurückzukehren, wo sie mit einer Tat das Land und sich selbst vom Joch ihres Ehemannes befreien will).

Wie aber kam es eigentlich, dass ausgerechnet Wendy Law-Yone an die Dürrenmatt-Gastprofessur in Bern eingeladen wurde? Auch das war dem Zufall geschuldet, so viel sei verraten. Ebenso, dass das Buch im Jahr von Dürrenmatts 100. Geburtstag erscheint – just im Jahr also, in dem in Myanmar, wie Burma heute meist bezeichnet wird, bei einem Militärputsch erneut viele Menschen ihr Leben verlieren.

Bern war nur eine Station im Leben der vielfältig exilierten Wendy Law-Yone. Heute wohnt die 74jährige Autorin in Grossbritannien. Und doch schreibt sie über ihre Zeit in der Bundesstadt, dass sie sich hier zuhause fühlte, mehr noch, dass sie an diesem Ort «dazu gebracht wurde, wieder über die Bedeutung von Zuhause nachzudenken».

«Dürrenmatt and me» ist eine überaus spannende und sehr persönliche Hommage an den Berner Schriftsteller. Geschickt wirft die Autorin im Spiegel ihrer eigenen Biografie ein Licht auf Dürrenmatts weltweite Wirkung. Eine Lebensgeschichte übrigens, die, wäre sie fiktiv, durchaus auch von ihm stammen könnte.

Wendy Law-Yone: «Dürrenmatt and me. Eine Passage von Burma nach Bern». Verbrecher, Berlin 2021; 173 Seiten; 28 Franken.

Pierre Bühler ist emeritierter Theologieprofessor der Universitäten Neuchâtel und Zürich.

  • N° 9/2021

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