Auf einem turbulenten Flug kippte eine Flight-Attendant einer Passagierin ein Glas Tomatensaft über ihr helles Designerkostüm. «Verzeihung, ich bin untröstlich. Selbstverständlich wird die Versicherung unserer Linie für den Ihnen entstandenen Schaden vollumfänglich aufkommen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, das Ihnen diese Unannehmlichkeit ein wenig erträglicher macht?» Das sind Sätze, die man nach einem solchen Malheur erwarten würde. Doch die Flugbegleiterin sagte nichts dergleichen. Sie fiepste nur ein «Ups», eilte davon und kehrte mit einem Allzweckfleckenmittel zurück. Diese Tinktur kippte sie auf das helle Kostüm – und rieb den roten Fleck noch tiefer in den Stoff.
Ärgerlicher als das Missgeschick ist die «Shit-Happens-Mentalität» der Flight-Attendant. Ihr flapsiges «Ups» suggeriert, die Leidtragende solle sich doch bitte nicht so anstellen. Solche Situationen seien nun einmal unvermeidliche Bestandteile des Lebens und müssten deshalb bitteschön auch akzeptiert werden.
Diese Form des Trostes, der etwas beschönigender darstellt, als es ist, wird zur perfiden Täter-Opfer-Umkehr. Die Forderung der Täter, die Opfer sollen sich doch zu einer Verzeihung durchringen, hört man immer von jenen, die sich mit ihrer Schuld nicht auseinandersetzen wollen. Reue gibt es, wenn überhaupt, nur als leere Phrase. Solche Entlastungsprinzipien sind unter Tätern und Vertuschern beliebt.
Besonders fatal ist, wenn für Taten mit ungeheuren barbarischen Dimensionen Verzeihung gefordert wird. Der israelische Psychoanalytiker Zvi Rix soll den bitteren Satz geprägt haben: «Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen.» Das ist kein jüdischer Joke. Dieser Gedanke entspringt vielmehr der Erkenntnis des grossen englischen Aufklärers Thomas Hobbes, der in seinem Werk «Leviathan» erkannte, dass Täter Geschädigte zu hassen beginnen, wenn sie erkennen, dass sie ihnen mehr Schaden zugefügt haben, als sie wiedergutmachen können.
Verzeihung ist ein sehr kostbarer, sehr unterschätzter Begriff. Er verlangt den Verzeihenden etwas ab, das viele Menschen nicht leisten können: über den eigenen Schatten zu springen. Da geht es nicht an, wenn die Verursacher des Leids hoffen, dass sich über ihre Verbrechen ein Schatten legt. Wem Würde und Selbstachtung etwas bedeuten, der setzt sich mit seiner Schuld auseinander. Nur dann kann Vergebung möglich werden. Dorthin zu gelangen, das ist harte Seelenarbeit.