Die Welt ist aus den Fugen.» Mit dieser Feststellung beginnt das letzte, unvollendet gebliebene Buch des 2015 verstorbenen Ulrich Beck. Der bekannte deutsche Soziologe fragt darin nach möglichen Auswegen aus der gegenwärtigen Orientierungslosigkeit und stellt – wie so oft in seinen Werken – den gesellschaftlichen Wandel ins Zentrum.
Beck stellt zunächst fest, dass Wandel ein fixer Teil der Moderne ist. Die Reformation hat die alte Kirche verändert und neue Glaubenswelten geschaffen, die Gesellschaft ist in den letzten 250 Jahren, seit der Aufklärung, in einem Dauerwandel begriffen. Damit sowie mit den Risiken des Fortschritts haben wir in der modernen Gesellschaft zu leben gelernt. Im 21. Jahrhundert erleben wir nun aber etwas Neues: dass nämlich die Gewissheit, den Wandel mit den eingeübten Denk- und Handlungsmustern meistern zu können, schwindet. Ob Klimawandel, Finanzkrise oder Terror: Die Weltgemeinschaft hat keine Lösungen parat. Was auch immer wir tun, es greift zu kurz. Die Welt schreitet fort – und gerade daran geht sie zugrunde.
Es ist eine Art gesellschaftlicher Wahnsinn, den Beck diagnostiziert. Doch müssen wir tatenlos zusehen, wie wir im Fortschritt untergehen? Nein, meint Beck. Er erkennt in den Katastrophen und Krisen der Gegenwart eine Chance für ein gesellschaftliches Umdenken und neues politisches Handeln.
Dazu nimmt er die Krisen des vergangenen 20. Jahrhunderts in den Blick. Aus den Katastrophen des Ersten und des Zweiten Weltkriegs ist die Europäische Union entstanden, ein neues Modell des Miteinanders von Staaten und Völkern, zwar immer anfällig für nationale Alleingänge, aber auch flexibel genug, in Krisen zu bestehen – ein Projekt mit offenem Ausgang. Ähnlich könnte es sich mit den neuen weltweiten Krisen verhalten. Klimawandel, Finanzkrise oder Terrorismus können zu Katastrophen führen, vor allem dann, wenn einzelne Nationalstaaten so handeln, als könne jeder für sich die Krise beherrschen. Hier hilft gemäss Beck nur die Einsicht, dass wir in einer Welt-Risiko-Gesellschaft leben und unser Handeln entsprechend verändern müssen, mit globalen Antworten auf globale Krisen. Beck setzt seine Hoffnungen auf die Entstehung eines Kosmopolitismus: Die neuen Medien, transnationale Abkommen zu Klimafragen oder weltweite Umwelt- oder Menschenrechtsbewegungen könnten nationales und nationalistisches Handeln aufsprengen. Für diesen Prozess der Öffnung verwendet Beck das Stichwort der Metamorphose, ein Bild aus der Natur: Wir leben wie Raupen, aus denen Schmetterlinge werden könnten.
Sosehr man der Situationsanalyse des Soziologen zustimmen mag, sosehr es ihm gelingt, die Widersprüchlichkeit nachmoderner Wirklichkeit aufzuzeigen, so wenig mag die Idee der Metamorphose, die Verwandlung zum Besseren, die Reinigung von Schlechtem, überzeugen. Denn die Wirklichkeit sieht anders aus: Der Wahnsinn hat Methode bekommen – politisch etwa von Amerika bis nach Russland. Und dass «der Klimawandel die Welt retten könnte», wie Beck schreibt, ist eher unwahrscheinlich – führt er doch gerade dazu, dass er per Medienpolitik und Gesetz einfach geleugnet wird – von Amerika bis China. Globale Migrationsbewegungen, die einen neuen Kosmopolitismus eröffnen könnten, enden an nationalen Grenzen, per Dekret, mittels Mauern und Waffen. Metamorphose, dieser Vorgang, wie aus der hässlichen Raupe ein wunderschöner Schmetterling wird, bleibt ein Bild.
Wer Einblicke in die widersprüchliche Welt der spätmodernen Risikogesellschaft sucht, findet sie bei Beck. Wer hofft, dass darin schon Lösungen liegen, wird leer ausgehen. Die Gedanken-Raupe wird nicht zum Schmetterling, der Rabe der Realität pickt sie weg.
Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt. Suhrkamp; Berlin 2017; 267 Seiten; 35.50 Franken.
Hans Jürgen Luibl ist Theologe und Medienwissenschaftler.