Der ehrliche Klappentext

«Die fremden Götter» von Hermann Kesten

Vor knapp siebzig Jahren schrieb der deutsch-jüdische Autor Hermann Kesten seinen Roman Die fremden Götter. Nun wird das Werk, das sich um religiösen Fanatismus und seine verheerenden Auswirkungen dreht, neu aufgelegt. Zu Recht: Sprache und Stil mögen aus heutiger Sicht zwar altbacken wirken, das Thema jedoch ist zeitlos.
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Freitag, 31. August 2018

Vor wenigen Wochen wurde dem deutsch-jüdischen Autor Hermann Kesten in seinem ukrainischen Geburtsort Podwoloczyska eine Gedenktafel gewidmet – für seine literarischen Verdienste, aber auch für seine selbstlose Unterstützung verfolgter Autoren im Dritten Reich. Kesten, der 1933 aus Deutschland zunächst nach Frankreich und später in die USA emigriert war, verhalf von New York aus Hunderten von Vertriebenen zur Flucht vor den Nazis. Einen «Schutzheiligen aller über die Welt Versprengten» nannte ihn deshalb anerkennend Stefan Zweig, auch er ein aus Europa Geflüchteter.

Umso erstaunlicher ist, dass Kesten als Autor heute nahezu in Vergessenheit geraten ist. Zwar gehörte er in den USA zu den meistgelesenen deutschsprachigen Autoren, und 1974 wurde ihm sogar die Ehre des BüchnerPreises zuteil. Trotzdem verpasste die Literaturkritik seinen ingesamt vierzehn Romanen das Etikett der (allzu) leichten Unterhaltungsliteratur. Heute gilt Kesten als Autor, dessen Werke vor allem noch als zeithistorische Dokumente wertvoll sind.

Eine Gelegenheit, sich ein eigenes Urteil zu bilden, bietet nun die Neuauflage des kleinen Romans Die fremden Götter. 1949 im Amsterdamer Exilverlag Querido erschienen, war dem Buch nur mässiger Erfolg beschieden, und auch Pläne, den Stoff in Deutschland zu verfilmen, verliefen rasch im Sand. Dass das Werk nun neu erscheint, dürfte nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken sein, dass es ein höchst aktuelles Thema behandelt.

Die fremden Götter ist ein Roman über religiösen Fanatismus und die zerstörerische Macht von Intoleranz. Kesten beschreibt darin die Geschichte der 17jährigen Luise, die als Tochter jüdischer Eltern im Nizza der Nachkriegszeit lebt. Während des Krieges, so erfährt die Leserin rückblickend, war Luise von den deportierten Eltern getrennt und in einem französischen Kloster versteckt worden. Dort hat sie schliesslich auch den katholischen Glauben angenommen. Mit den Eltern wiedervereint, erfährt Luise den religiösen Zorn des Vaters. Denn dieser kehrt als strenggläubiger Jude aus dem KZ zurück und will die Wandlung der Tochter nicht dulden. Nur heimlich kann Luise die Kirche besuchen, stets begleitet von der Furcht vor dem Vater. Der sperrt die renitente Tochter schliesslich kurzerhand in ihr Zimmer ein, um die Gefallene auf den rechten Weg zurückzubringen.

Was nach schwerer Kost klingt, nimmt nun die Form einer irrwitzigen Komödie an. Luises Vater sucht Rat bei zwei Freunden der Familie: dem jungen Théodore, Sohn des Stadtrabbiners, und dem lüsternen Gourmand und Wahlbuddhisten Colombe. Sie sollen Luise von ihrem Irrglauben abbringen. Während Théodore sich aber Hals über Kopf in das Mädchen verliebt, erliegt Colombe Luises sinnlichen Reizen. Beide sind schliesslich bereit, selbst zum Katholizismus überzutreten, um Luises Gunst zu gewinnen. Nach einer turbulenten Entführung Luises startet der Vater einen letzten Versuch, das Mädchen zum Judentum zurückzuführen. Vergeblich. Luise bleibt ihrem Glauben treu, und der Vater erklärt sie schweren Herzens für tot.

Das Feuilleton mag zwar die teilweise klamaukhafte Handlung und die eher schlecht gealterte Sprache kritisieren. Dennoch ist das Buch mehr als nur Unterhaltungsliteratur. Es ist vor allem die Figur des Vaters, die der Geschichte eine tragische Dimension verleiht. Bis zum Schluss kann dieser nicht verkraften, seine Tochter ausgerechnet an die Religion seiner Peiniger zu verlieren. Die ganze Tiefe des Konflikts wird deutlich, als der Vater Luise auf Knien bittet, ihren Glauben für «fünf Minuten der schönen Täuschung» aufzugeben, um sie noch einmal küssen zu können. Die Tochter lehnt ab, und dem Vater bleibt nur das traurige Résumé: «Du kannst nicht. Ich kann nicht. So können wir beide nicht.» Kestens Roman zeigt eindringlich, wie religiöser Fundamentalismus auch vor dem, was uns das Liebste ist, nicht Halt macht und dabei eine ganze Familie zerstören kann. Das macht das Buch gerade heute wieder lesenswert.

Hermann Kesten: Die fremden Götter. Herausgegeben von Albert M. Debrunner; Nimbus, Wädenswil 2018; 248 Seiten; 32 Franken.

Heimito Nollé ist Redaktor bei bref.

  • N° 15/2018

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