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Selbst Heilige und Propheten waren nicht frei von Zorn, weder die alten Götter noch der biblische Gott hatte so viel Selbstbeherrschung. Mit Zorn ist schwer umzugehen: Frisst man ihn in sich hinein, nagt er an der Seele und macht krank. Lässt man den Furor ungezügelt heraus, halten einen die Leute für einen kulturlosen Barbaren, der seine Gefühle nicht im Griff hat. Gerade in unserer heutigen Teamplayer-Kultur soll man bei Kränkungen oder Ungerechtigkeiten unbedingt die Contenance bewahren. Wer das nicht schafft, soll eine Therapie machen. So werden extrem wütende Kinder schnell zu «Systemsprengern», die man angeblich vor sich selbst und vor anderen schützen muss. «Wo kämen wir da hin, wenn jeder seinen Gefühlsausbrüchen freien Lauf lassen würde?» heisst es dann.
Dabei sollten wir alle mehr Zorn wagen und unserem Unmut Luft verschaffen. Psychologen und Psychiater haben erforscht, dass ein entbrannter Zorn auch eine gesunde Seite haben kann: Er steckt klare Grenzen, entlädt die innere Spannung und liefert konstruktive Hinweise auf die schwelenden Konflikte in unserem Verhalten zueinander. Das hat etwas ungemein Befreiendes. Anthropologen sagen sogar, ohne Zornausbrüche, die das Gegenüber einschüchtern und in die Flucht schlagen, hätten sich unsere Vorfahren noch viel häufiger die Köpfe eingeschlagen. Zorn ist also auch ein gutes Warnsignal, das vor weiterer Eskalation schützen kann.
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