Der ehrliche Klappentext

«Der Wurm in unserem Herzen» von Sheldon Solomon und Co.

Wer an die eigene Sterblichkeit erinnert wird, neigt stärker zu Intoleranz, Schwarzweiss­ denken und Härte gegenüber anderen. In ihrem Buch «Der Wurm in unserem Herzen» erforschen Sheldon Solomon und Co. die Abgründe der menschlichen Todesfurcht – und bieten gleichzeitig ein Gegenmittel an.
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Freitag, 19. August 2016

Mittelalterliche Mönche pflegten sich einen Totenschädel als Memento mori aufs Pult zu legen. Diese Erinnerung an die irdische Vergänglichkeit sollte sie im Glauben an Gott bestärken. Nach der Lektüre von Der Wurm in unserem Herzen wissen wir: Diese Methode war genial. Den Tod im Blick, gewinnt die Idee eines überirdischen Gottes nämlich umso mehr an Kraft.

Die Sozialpsychologen Sheldon Solomon, Jeff Greenberg und Tom Pyszczynski untersuchen seit Jahr­zehnten, wie sich das Wissen um die eigene Sterblich­keit auf unser Denken und Handeln auswirkt. Als junge Forscher begegneten sie in den 1980er Jahren der Theorie des Kulturanthropologen Ernest Becker, die besagt, dass die Angst vor dem Tod der Motor der menschlichen Kultur sei. Rituale und Religionen, Traditionen und auch Ideologien sind aus dieser Sicht Bewältigungsstrategien, die sich aus der menschlichen Angst vor dem Ende speisen.

Becker lieferte also die Theorie – Solomon und Co. machten sich daran, diese mit der Auswertung von zahl­reichen Studien zu erhärten. Das Buch beschreibt das Vorgehen der Forscher: Vor dem eigentlichen Versuch legten sie ihren Probanden jeweils einen Fragebogen zu ihrer Persönlichkeit vor. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt Fragen, die sie indirekt an die eigene Sterblichkeit erinnerte, wie etwa: Beschreiben Sie, wie Sie sich Ihre eigene Abdankung vorstellen.

Und tatsächlich: Schon die ersten Studien zeigten ein Resultat, das sich hundertfach wiederholen sollte – der implizite Hinweis auf die eigene Sterblichkeit beeinflusste Denken und Gefühle der Probanden. So waren konservativ eingestellte Amerikaner, die man an ihren Tod erinnert hatte, deutlich offener für Foltermethoden gegenüber islamischen Gegnern als die Kontrollgruppe. Auch links-liberal orientierte College-Studenten neigten stärker dazu, George W. Bush 2004 wiederzuwählen. Richter wurden strenger, und Gläubige jeder Richtung wurden intoleranter.

Warum dieser Rückzug auf einfache Fronten? Weil, so die Autoren, die Erinnerung an unsere Sterblichkeit unser Weltbild in Alarmbereitschaft versetzt. Wir suchen dann nach Sinn in übergreifenden, uns selber überdauernden Ideen, die uns als Schutzschild gegen die Angst vor dem Tod dienen sollen. Fanatismus ist da oft nicht weit weg: Jäh an ihre Vergänglichkeit erinnert, tei­len Menschen die Welt in Freund und Feind. Die Autoren sehen darin die eigentliche Erklärung dafür, warum sich Menschen durch Bedrohungen wie Terroranschläge, Krieg und Gewalt so leicht zu nationalistischen und fremdenfeindlichen Einstellungen aufpeitschen lassen.

Es klingt nach einer pessimistischen Botschaft, die uns Solomon und Co. mit vielen Fakten und Zahlen angereichert auftischen. Der Wurm in unserem Herzen, das ist dieses universale Dilemma des Menschen: die Kombination des biologischen Selbsterhaltungstriebs mit einem Gehirn, das sich der Vergänglichkeit bewusst ist. Das tröstliche Fazit des Buches ist aber, dass wir da­ durch nicht unweigerlich zu Fanatikern und Schwarz­weissdenkern werden. Zum Schluss haben die Autoren ein millionenfach erprobtes Gegengift parat: die bewusste Auseinandersetzung mit der Angst und der Verletzlichkeit. Werden Menschen also nicht nur indirekt an den Tod erinnert, sondern dazu aufgefordert, sich ausführlich damit zu beschäftigen, bleiben sie in ihren Einstellungen gelassener. Auch das beweisen die Studien von Solomon und Co. Und das wusste auch schon die antike Stoa – genau wie alle anderen religiösen Traditionen und Philosophien, die uns lehren, dem Tod in die Augen zu schauen und ihn zu akzeptieren.

Sheldon Solomon, Jeff Greenberg, Tom Pyszczynski: Der Wurm in unserem Herzen. Wie das Wissen um die Sterblichkeit unser Leben beeinflusst. Deutsche Verlags-Anstalt; München 2016; 368 Seiten;  33.90 Franken.

Kathrin Meier-Rust ist freie Journalistin und Mitarbeiterin von Bücher am Sonntag, der Literaturbeilage der NZZ am Sonntag.

  • N° 15/2016

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