An einem heissen Sonntag im August 2017, da fuhr ich mit dem 31er-Bus nach Stammersdorf und spazierte den Marchfeldkanal entlang. Dort gibt es einen wunderschönen Weg am Wasser. Der Kanal sieht gar nicht aus wie von Menschenhand geschaffen. Stattdessen sieht er aus wie ein natürlicher Bach, der gerahmt ist mit prächtigen Weiden, Platanen und Holunderbüschen.
In den neunziger Jahren hatte mein lieber Vater als damals noch aktiver Kulturtechniker die Planung und Bauaufsicht für den heutigen Marchfeldkanal übernommen.
Nach meinem Spaziergang bis zur Untergrundbahnhaltestelle Leopoldau nahm ich einen Zug zur Donauinsel und flanierte bis zum Wasserkraftwerk Freudenau. Auch das hatte mein Vater geplant und den Bau beaufsichtigt.
Ich setze mich ans Ufer und betrachte dieses imposante Bauwerk. Da ruft er mich an :
« Bache-ján (Mein Kind) ! Achtung, Achtung ! Heute ist Inversionswetterlage ! Mach sofort alle Fenster in deiner Wohnung auf ! Deine Gastherme ist eine Todesfalle ! Wenn du dich duschst und nicht die Fenster aufmachst, kommt das ganze Kohlenmonoxid in deine Wohnung ! Khafe mishi, mimiri, pesaram ! (Du erstickst und stirbst, mein Sohn ! Achtung ! Achtung !) »
« Ja, mach ich, wenn ich heimkomme, Papa. Danke für deine Warnung!»
« Wo bist du denn ? »
« Ich sitze gerade auf der Donauinsel und schau mir dein Kraftwerk an. Vorher war ich an deinem Marchfeldkanal … »
« Bache-ján, mage bikári ? In kárhá chie ? Az in tarafe shahr miri be un tarafe shahr tu in garmá ? Bihush mishi, azizam !
(Mein liebes Kind, bist du unterbeschäftigt ? Was soll denn das ? Fährst du in dieser Hitze von einem Ende der Stadt zum anderen ? ! Du wirst noch kollabieren, mein Schatz !) »
« Ich werde nicht kollabieren. Ich schau mir halt gern an, was du geplant und gebaut hast. Ich finde das faszinierend … »
« … Hamash gozasht dige (Das ist doch alles vergangen) ! Kümmere dich lieber um die Gegenwart, mein Sohn ! Kümmere dich lieber um deine tödliche Gastherme ! Wenn du in der Dusche umfällst, dann bringen dir das Kraftwerk Freudenau und der Marchfeldkanal auch nichts, mein Bub ! Denk nicht immer so viel an die Vergangenheit ! »
« Es ist nicht vergangen, Papa. Es steht doch gerade vor mir ! In voller Grösse!»
« Mhm … » Mein Vater klingt nachdenklich. Und etwas traurig.
Ich sage : « Es ist schön – sehr schön ! » Mein Vater sagt : « Ein schwieriges Projekt, es kam uns viel teurer als veranschlagt. » Dann ein Moment der Stille : « Ein Gyrossieg, hat unser Chef immer gesagt », und dann sagt er wieder, « ein Gyrossieg … »
Meine Mutter ruft aus dem Hintergrund : « Pyrrhussieg, Khashi, nicht Gyrossieg ! Pyrrhussieg ! »
« Ich mag es, das Kraftwerk », sagte ich, « ich sitz gerne hier am Ufer und schaue es mir an. »
Mein Vater sagt : « Das freut mich. »
Meine Mutter rufend aus dem Hintergrund : « Pyrrhussieg ! Nicht Gyrossieg ! » Und dann :
« Gyros sind diese griechischen Kebab-Weckerl, die du so gern hast … »