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Wenn es um Riten und Heiligtümer anderer Religionen geht, gelten wir Protestanten als aufgeschlossen und wissbegierig. Als Student begegnete ich in Berlin dem Londoner Rabbiner Albert H. Friedländer. Ich fragte ihn, was denn im Judentum das Allerheiligste sei. Er antwortete: «Aus ihrem Konfirmandenunterricht wissen Sie vielleicht noch: es ist die Bundeslade.» «Ach ja», sagte ich bildungsbeflissen, «die Truhe aus Akazienholz und Gold, in der die Steintafeln mit den zehn Geboten aufbewahrt wurden. Das symbolisiert doch den Bund Gottes mit dem Volk Israel.» Womöglich witterte er hinter meiner nüchternen Antwort Restspuren des alten protestantischen Ressentiments gegen jede Form mystischer Aufladung. Er spöttelte: «Eure Bundeslade ist doch der Kult um das Gewissen. Ihr bewahrt es in euren Herzen, wie in einem Thoraschrein. Und ihr baut einen Tempel drumherum.»
Da mag etwas dran sein. Das Gewissen bildet für uns Protestanten die Ebene, auf der wir uns mit Gott verständigen. Am jüngsten Tag müssen wir, so steht es geschrieben, für unsere Taten geradestehen vor ihm. Albert Camus hat es so beschrieben: «Der Mensch ist nichts an sich. Er ist nur eine grenzenlose Chance. Aber er ist der grenzenlos Verantwortliche für diese Chance.»
Camus deutet damit an, dass Gewissenlosigkeit immer eine Form von Entgrenzung ist: Gier bis ins Uferlose bei riskanten Finanzspekulationen auf den Rücken der Kleinanleger oder der kaltblütige entfesselte Krieg gegenüber der Zivilbevölkerung. Wenn alle Dämme brechen, ist das Gewissen der letzte Deich, der uns vor der Barbarei schützen kann.
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