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Donnerstag, 19. Dezember 2024

Bethan Huws, «I’ve forgotten to feed the cat», 2019–2020, © 2024, Pro Litteris, Zurich.

Wird eine Kunsthistorikerin gebeten, ein Werk auszuwählen, das sie fasziniert, heisst das, sie hat die Qual der Wahl. Zumindest mir geht es so. Soll es ein Werk sein, das mich bereits mein Leben lang begleitet? Eines, das mich jüngst berührt hat? Das einen Bezug zu meiner Biografie hat? Ein Werk, das aus historischer Sicht oder mit aktuellem Blick gesellschaftlich zentrale Fragen stellt? Eines, das ich als Meilenstein der Kunstgeschichte dem Lesepublikum näherbringen möchte?

Mir fallen viele Werke ein, je nach Sichtweise ist es ein anderes, von dem ich gerne erzählen würde – und doch will ich der Einladung folgen, nur über ein Kunstwerk zu schreiben – aus mehreren Blickwinkeln: «I’ve forgotten to feed the cat, I haven’t got a cat» von Bethan Huws auf der Hofmauer des Kunsthaus Zug.

Ich beginne mit der Künstlerin. Die 1962 geborene Bethan Huws, die die Installation geschaffen hat, lebt heute in Berlin und Paris und arbeitet immer wieder mit dem Kunsthaus Zug. Mit Wurzeln in Wales, einer Region auf den Britischen Inseln mit eigener Sprache und Kultur, und ihrer eigenen Mehrsprachigkeit, ist Huws’ Umgang mit Worten, der oft von feinem Humor geprägt ist, ein zentraler Angelpunkt ihrer Kunst.

Das hier besprochene Werk der Objektkünstlerin bietet zwei leicht verständliche Sätze. Doch bereits beim zweiten Lesen irritieren sie. Wer spricht hier, warum soll eine Katze, die nicht da ist, gefüttert werden? Eine Anregung zum Nachdenken, der man sich inmitten der grossräumigen Lichtgestaltung kaum entziehen kann.

Wobei wir hier nur die Fotografie der originalen Arbeit sehen. Einen Teil der Magie, einen einzigen Eindruck. Kunst im Original zu erleben ist immer besser. Bei dreidimensionaler Kunst ist die Betrachtung vor Ort zentral, um ihre Räumlichkeit zu erleben. In diesem Fall auch nachts, wenn das Licht den Raum am stärksten in das Kunstwerk mit einbezieht. Dass dann das Museum meist geschlossen ist, mag die Künstlerin mit einem Augenzwinkern vielleicht mitbedacht haben.

Das Werk von Bethan Huws habe ich auch mit Blick auf meine eigene Biografie gewählt. Meine erste Anstellung als Kunsthistorikerin hatte ich im Kunsthaus Zug, heute bin ich Stiftungsrätin der Stiftung Sammlung Kamm. So führt Huws’ Werk sowohl zu meinen beruflichen Wurzeln wie auch zu meinem gegenwärtigen Engagement. Bildende Kunst, die gleichzeitig mit Worten spielt, verweist darüber hinaus auf meine Nähe zur Literatur in meiner Funktion als Generalsekretärin des European Writers’ Council.

Die Poesie von Worten, gefasst in eine visuell erfahrbare Arbeit, ist mir wegen meiner alltäglichen Erfahrungen und Leidenschaften besonders nah. Oder anders formuliert, mir gefällt die Idee, dass Worte nicht immer alles sagen, sondern dem Kopf Nahrung für Gedanken bieten. Sind die Worte gar räumlich gestaltet, werden sie auch physisch erfahrbar, eine Horizonterweiterung ohnegleichen.

Abschliessend erlauben Sie mir einen assoziativen Blick auf das Werk. Ich mag Katzen, habe aber keine. Dennoch frage auch ich mich immer wieder, ob ich die Katze gefüttert habe. Betrachte ich die Arbeit von Bethan Huws, erinnere ich mich an die Katze der Nachbarn, die ich in deren Abwesenheit füttern und streicheln durfte. Sie ist nicht mehr da, aber ich mag die Vorstellung, dass sie mit diesem Werk auf der Mauer des Kunsthaus Zug noch ein ganz klein wenig umhergeistert, zumindest in meinem Kopf.

Dies ist das Schöne an der Kunst: dass sie in jedem Betrachtenden eigene Bilder hervorrufen kann.

  • Alles Liebe!

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