Der Schriftsteller Péter Esterházy, 1950 in Budapest geboren, wurde vielfach ausgezeichnet mit ungarischen, österreichischen und deutschen Literaturpreisen. Die Jury des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels zum Beispiel hatte 2004 seinen «Mut zum offenen Bekenntnis und zur poetisch-heiteren Beschreibung der Tragödie» gelobt und betont, er setze «der europäischen Depression einen Kontrapunkt». 2016 starb Esterházy an Krebs. Wie beschreibt dieser Autor nun seine persönliche Tragödie?
In Bauchspeicheldrüsentagebuch notiert er sein Leiden, Denken und Tun mal in kurzen, wenige Zeilen, mal in ein bis zwei Seiten langen Abschnitten. Er erzählt von seinem Aufwachen am Morgen, seinem Essen und Trinken, von den Ärzten, Pflegenden und Medikamenten, er schreibt von Wörtern und vom Schreiben, dazwischen von Besuchen von Familienmitgliedern, und er macht Bemerkungen zu anderen Autoren. Der Stil seiner Sprache kippt fortwährend: von gebildet zu ordinär, von sachlich zu sarkastisch, von heiter zu trübsinnig. Der Autor liebt es, die Aussage des einen Satzes im nächsten zu widerrufen. Er betrachtet sich im Spiegel: «Ich bin lächerlich und eitel zufrieden mit dem, was ich sehe, und zugleich bestürzt.» Seine Spontaneitäten, Ambivalenzen, Unsicherheiten: Sind sie Klage oder Koketterie? Diese Frage stellt sich auch, wenn er das Schreiben selbst zum Thema macht: «Schon wieder Gedankenspiele. Einerlei, notieren wir weiter und erzählen wir Geschichten.» Am Anfang erscheinen seine Aufzeichnungen manchmal fast penetrant heiter, gegen den Schluss hin wird der Krebstagebuchschreiber jedoch kränker, trostloser, erschöpfter.
Es scheint, als ob Esterházys Schreiben ihm eine Art Distanz ermöglicht. Mit Ironie sucht er sich den Schmerz vom Leib zu halten, ohne dem Unausweichlichen entrinnen zu können. Eigenartig berührt das Bild, sein Bauchspeicheldrüsenkrebs sei seine Geliebte: sein neues Gewächs, sein zärtlich oder vorwurfsvoll angesprochenes Fräulein, mit dem er zuinnerst so sehr verbunden sei wie nie mit einer Frau. «Ich tue also, als ob. Ich nehme mein Fräulein Drüse nicht auf die leichte Schulter, doch weder erschreckt mich die Kleine, noch sehe ich auf zu ihr.» Ist das ein poetisch-heiterer Einfall, oder die Art eines Spielers, der auch noch diese tötende Krankheit in sein erotisches Menschen- oder Selbstbild einbaut? Klagt er nicht über den Krebs, den Tod, gegen Gott? Manchmal ja, manchmal nein, und den Schöpfer der guten Schöpfung ehrt er bis zuletzt.
Esterházy ist nicht der erste Schriftsteller, der sein Leiden und Sterben dokumentiert. Die Autorin der ehemaligen DDR Maxie Wander schrieb Anfang der achtziger Jahre Leben wär’ eine prima Alternative, und auch der deutsche Theatermann Christoph Schlingensief führte 2009 eine Art Krebstagebuch. Ernst und berührend sind auch die Diktate über Sterben & Tod des Schweizer Juristen Péter Noll, die 1984 erschienen. Im Vergleich dazu bleibt Esterházys Tagebuch seltsam an der Oberfläche. Es mag sein, dass gewisse Leser diese Heiterkeit und Ironie als «Kontrapunkt» zur Tragödie schätzen oder darin eine verdeckte Art der Klage oder der Verzweiflung entdecken. Andere mag aber das Durcheinander irritieren, mit dem Esterházy über Krebs und Tod schreibt. Tiefe und Spiritualität fehlen, der Autor scheint in seinem Selbstbezug verstrickt. Es ist das Dokument eines Todkranken, das die Lesenden etwas ratlos zurücklässt.
Péter Esterházy: Bauchspeicheldrüsentagebuch. Hanser, Berlin 2017; 240 Seiten; 28.90 Franken.
Conradin Conzetti ist evangelischer Theologe in Bern.