Pfingsten als das Geburtstagsfest der Kirche: Das sei theologischer Schwachsinn, schreibt Roland Diethelm, aber gerade bei den Reformierten sehr angesagt.
Mit Pfingsten können selbst Christen wenig anfangen. Man freut sich über ein langes Wochenende. Nach Weihnachten und Ostern wird das dritte grosse christliche Fest oft auch als «Geburtstag der Kirche» gefeiert. Das vermeintliche Bonmot entpuppt sich aber bei näherer Betrachtung als Schwachsinn und verrät eine seltsame theologische Auffassung von Kirche: Es bezieht sich auf das Sichtbare, auf ihr historisches Antlitz, ohne dabei den geistlichen, unsichtbaren Grund zu berühren.
Die Kirche gehört in Gottes Schöpfungsplan seit Anfang der Welt. Im Glaubensbekenntnis wird sie im dritten Artikel dem Wirken des Heiligen Geistes zugeordnet. Wenn jemand hier eine kryptokatholische Schlagseite von einem reformierten Pfarrer wittert, verweise ich ihn gerne an den Zürcher Reformator Heinrich Bullinger: Er lehrte, dass die Kirche schon im Paradies erscheine, als Gott zu den ersten Menschen sprach. Will heissen: Wo Gottes Wort seine Gemeinschaft mit dem Menschen schafft, ist bereits Kirche da. Diese Kirche ist erwählt und geschaffen vor der Welt. Diese Gemeinschaft nennt das Neue Testament den «Leib des Herrn»: eine Wirklichkeit, die Teil hat am auferstandenen Gekreuzigten.
Anders der nüchterne Blick der Schweizer Protestanten auf ihre Landeskirchen, die für sie eine Organisationsform für weltliche Geschäfte wie Anstellungen und Wahlen, Bauprojekte und Gottesdienstpläne sind. Dabei zerfällt die Kirche in kantonale und lokale Einzelmasken, was wiederum das Bild einer marginalisierten Minderheit verstärkt, die mit sich selbst beschäftigt ist. Die Kirche wird so zu einer entbehrlichen Mitspielerin in unserer Gesellschaft. Immerhin fiel es auch diesem selbstsäkularisierten Umfeld auf, dass die Reformierte Kirche in der Schweiz kaum mehr Beachtung findet, weder in den Medien noch bei der Regierung.
Die Entwicklung des «Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds» zur «Evangelischen Kirche Schweiz» liess darauf hoffen, dass an verantwortlicher Stelle nicht nur das Manko erkannt, sondern auch der Weg zur Besserung eingeschlagen wird: also nicht nur einen Bund von Kirchenorganisationen zu bilden, sondern selbst Kirche zu sein. Statt die roten Tücher «reformierter Bischof», «evangelische Messe» und «protestantische Hierarchie» hinauszuhängen und Scheingefechte zu führen, hätte wohl das stille unbeirrte Tun von Kirchesein bessere Früchte getragen.
Das Amt der Schlüssel, also ein geistliches Bischofsamt, könnte uns Zeitgenossen gerade in der Corona-Pandemie helfen, das Geschehen zu entschlüsseln. Es würde uns biblische Bilder vom Kampf Gottes gegen die Lebensbedrohung aus der Schöpfung zumuten, statt wie bisher einen romantischen Naturbegriff zu pflegen. Es wüsste unsere Ohnmacht in Worte zu fassen, wenn Lebenserwartung nur noch quantitativ verstanden und Lebensqualität nicht mehr daran gemessen wird, mitten im zeitlichen Dasein ewiges Leben zu gewinnen. Wer benennt heute die ethischen Brennpunkte zwischen der Rettung einer liebgewonnenen Lebensweise und dem Schutz der Gefährdeten? Ich hätte mir in diesen Zeiten nicht nur medial-virtuelle Kompetenz der Kirchenleute gewünscht, sondern wahrhaft bischöflichen Trost unserer christlichen Hoffnung.
Dazu gehört gewiss die gut reformierte Aufklärung über falsche religiöse Deutungen der Pandemie («Strafe Gottes»), die an den Rändern unserer Gesellschaft und Kirchen auch diesmal irrlichterte. Dass Philosophen und Soziologen zur Sterblichkeit allerlei verlauten liessen, aber Theologen kaum, betrübt mich. Gemessen daran spielt es eine kleine Rolle, dass die Evangelische Kirche Schweiz in der Lockerungs-Lobby-Arbeit beim Bundesrat in einer ersten Runde offensichtlich kein Gehör fand.
Pfingsten sorgte bereits vor 2000 Jahren nicht für Geburtstagsjubel. Das Pfingstfest war damals das grosse Wunder, dass mitten in der Kakophonie der Stimmen plötzlich alle zusammen die uralte Verheissung Gottes vernehmen liess.