Frau Schmid, Sie waren Journalistin, nun schreiben Sie an einem Kinodrehbuch über den Reformator Huldrych Zwingli. Wie steht es um Ihre Beziehung zum Protagonisten?
Wir haben heute ein gutes, ziemlich entspanntes Verhältnis. Bevor ich mit dem Drehbuch begann, war Zwingli aber auch für mich das, was er für viele bis heute ist: der Inbegriff von Lustfeindlichkeit und Strenge. Dann begann ich mich mit der Figur und der Zeit zu beschäftigen. Ich las unzählige Bücher und sprach mit Theologen und Historikern.
Mit welchem Ergebnis?
Mir wurde klar, dass Zwingli eine unglaublich vielschichtige Person war. Und ich erkannte, dass Zwingli so ganz und gar nicht dem entspricht, was man heute im Volksmund als «zwinglianisch» bezeichnet. Er war ein sinnlicher und musikalischer Mensch. Und alles andere als die Verkörperung von Strenge und Freudlosigkeit.
Zwingli zog in den Krieg, er rebellierte gegen den Bischof, er besuchte Prostituierte. Seine Biografie hat alle Zutaten für einen Actionstreifen.
Es ist noch zu früh, über den Film zu sprechen. Nur so viel: Es wird kein Fachpublikum-Film werden, aber auch kein Schlachtenepos.
Die Zuschauer werden also kein Blut und keinen Sex auf der Leinwand sehen?
Ganz ohne wird es nicht gehen, das wäre ja auch historisch falsch. Zwingli lebte in einer politisch turbulenten Zeit, er zog in den Krieg. Und ja, auch Sexualität war ein grosses Thema für Zwingli.
«Ein Historiker sagte mir, dass Zwingli eine Mischung aus Pfarrer Sieber und Christoph Blocher sei.»
Es gibt Textstellen, in denen er auch klar als Mann schreibt, etwa, wenn es um sein körperliches Begehren geht – er stand zu seiner Lust und kämpfte dafür, sie auch als Pfarrer leben zu dürfen.
Mich interessiert es, Klischees aufzubrechen. Ich möchte zeigen, wer dieser Zwingli war, welche Beziehungen er pflegte. Und das Wichtigste: Was ihn motiviert hat, all diese Veränderungen anzustossen, die bis heute unsere Gesellschaft und die Schweiz prägen.
Haben Sie eine These?
Ich habe viel über seine Psychologie nachgedacht, aber ich kann nur mutmassen. Ein erster Wendepunkt war die Schlacht bei Marignano, wo die Eidgenossen eine Niederlage erlebt haben – unter anderem auch deswegen, weil sich ein Teil der Eidgenossen kaufen liess und umkehrte. Zwingli muss schlimme Dinge gesehen haben während dieser Schlacht und kämpfte danach für mehr Humanismus.
Wie ist es, als Frau an einem Drehbuch zu Zwingli zu schreiben?
Zwinglis Umgang mit Frauen beschäftigt mich schon. Ein Feminist war Zwingli mit Sicherheit nicht. Ich erinnere mich an einen Brief, den er an seine Frau schrieb. Er gratulierte ihr zu ihrer fröhlichen Geburt und bat sie in der nächsten Zeile darum, ihm neue Arbeitskleider zu schicken – als ob sie seine Magd wäre. Das ist aus heutiger Sicht schwer verdaulich. Gleichzeitig war Zwingli dafür, dass Frauen lesen lernen – eine für die damalige Zeit fortschrittliche Ansicht.
Wie gelingt es Ihnen, sich gedanklich 500 Jahre zurückzuversetzen?
Zunächst recherchiere ich viel über Zwingli und seine Zeit, damit ich ein möglichst genaues Bild bekomme. Aber entscheidend ist, dass ich mich emotional einlassen kann, ein Gefühl für die Figuren bekomme. Nur so kann ich ein möglichst wahrhaftiges Bild dieser Zeit zeigen. Es kommt vor, dass ich mit dem angesammelten Wissen im Kopf durch die Innenstadt von Zürich spaziere und mich in der Vergangenheit verliere. Manchmal höre ich Zwingli sprechen. Er reift in meinem Kopf zu einer Figur mit Eigenleben.
Angenommen, Sie müssten für Zwingli eine ehrliche Kontaktanzeige verfassen, was würde darin stehen?
Er ist ein witziger, bissiger, mutiger, leidenschaftlicher, zuweilen auch arroganter Mann. Selbstzweifel waren seine Sache nicht.
Es gibt viele Möglichkeiten, die Figur Zwingli als Geschichte zu erzählen. Ist Zwingli in Ihrem Film eher Schweizer oder mehr Reformator?
Das lässt sich nicht voneinander trennen. Die Reformation in der Schweiz hat viel mit dem Land zu tun, mit der damaligen Politik und der Gesellschaft. Sie hätte ohne den bäuerlichen Rückhalt nie Erfolg gehabt. Die Schweizer Reformation ist geprägt von diesem Kampf von unten, dem Wunsch nach Eigenständigkeit gegenüber den Obrigkeiten. Auch Zwingli selber war ja ein Bauernsohn – vielleicht war das sein Erfolgsgeheimnis.
Besteht die Möglichkeit, dass nationalkonservative Kreise den Film politisch vereinnahmen?
Nein, das glaube ich nicht. Zwingli war zwar bodenständig. Er war aber auch sehr sozial, und die Selbstbestimmung, die er einforderte, zielte eher auf stärkere Bürgerrechte ab. Zwinglis Thema war nicht das Bewirtschaften von Angst und Abschottung. Im Gegenteil.
Welche öffentliche Person könnte heute am ehesten mit Zwingli verglichen werden?
Ein Historiker sagte mir, dass Zwingli eine Mischung aus Pfarrer Sieber und Christoph Blocher sei. Sieber, was die Ideale betrifft.
«Manchmal höre ich Zwingli sprechen. Er reift in meinem Kopf zu einer Figur mit Eigenleben.»
So hat Zwingli in Zürich die Armenfürsorge ins Leben gerufen, weiter hasste er Korruption und Bereicherung.
In dieser Hinsicht war er klar Sieber. Blocher, weil auch Zwingli sehr bodenständig war und ein vehementer und volksnaher Redner, dem auch Bauernschläue nachgesagt wird.
Sie bezeichnen sich selber als Agnostikerin. Hat sich Ihr Bezug zur Religion verändert, seit Sie an einem Film über Zwingli arbeiten?
Da muss ich etwas ausholen. Ich bin in einer eigenwilligen Familie aufgewachsen. Mein Vater ist katholisch, meine Mutter kommt aus einer reformierten Pfarrfamilie. Als kleine Rebellion gegen die Elternhäuser wurden zwei von uns Kindern reformiert, zwei katholisch getauft. Ich gehörte zur reformierten Hälfte und beneidete meine katholischen Geschwister, weil sie mehr Geschenke kriegten und mir bei den Katholiken alles sinnlicher und bunter erschien. Die Auseinandersetzung mit Zwingli hat mich aber mit meiner reformierten Herkunft versöhnt.
Inwiefern?
Mittlerweile schätze ich das Vernünftige und Karge der Reformation. Sie waren der erste Schritt hin zur Aufklärung. Auch ist mir bewusst geworden, wie stark die Reformation selbst heute noch die säkulare Gesellschaft prägt. Zwingli hat mir geholfen, die Reformation und die damit verbundenen Werte mehr zu schätzen – damit meine ich vor allem das Emanzipatorische und Liberale: Dass jeder Mensch selber denken und sich selber ein Bild machen soll.
Seit gut einem Jahr arbeitet Simone Schmid an dem Drehbuch zum Zwinglifilm. Angefragt wurde sie im Rahmen eines Treffens für junge Filmschaffende an der Filmhochschule in München, wo sie eine Ausbildung zur Drehbuchautorin absolvierte. Es ist das erste Kinofilmprojekt der 36jährigen Zürcherin, daneben schreibt sie unter anderem Drehbücher für die SRF-Serie Der Bestatter. Davor arbeitete die Geografin zunächst als Texterin und Kartografin; nach einer Journalismusausbildung in Luzern und Hamburg war sie mehrere Jahre als Journalistin tätig, zuletzt für die NZZ am Sonntag und den Tages-Anzeiger. Der Zwinglifilm wird von der Schweizer Firma C-Films (Der Verdingbub, Dr Goalie bin ig) produziert und kostet rund sechs Millionen Franken. Geplant ist, den Film pünktlich zum Reformationsjubiläum Ende 2018 in die Schweizer Kinosäle zu bringen. Die reformierten Kirchen stehen den Filmproduzenten beratend zur Seite, nehmen aber keinen Einfluss auf den Film. Auch sind sie nicht an der Finanzierung beteiligt. su