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Autorin: Julia Kopatzki
Illustration: Julia Kluge
Freitag, 13. Mai 2022

Es gab eine Zeit, in der glaubten Menschen, die Persönlichkeit liesse sich am Schädel ablesen. Sie glaubten, das Selbstbewusstsein sässe am Hinterkopf und der Humor an den Schläfen. Zurück geht das auf den schwäbischen Arzt Franz Joseph Gall, der Ende des 18. Jahrhunderts 27 Hirnorgane gefunden haben wollte, die für verschiedene Persönlichkeitsbereiche stünden. Und je nachdem, wie der Kopf beschaffen sei, so sei auch der Mensch, dem dieser gehörte. So hatten Frauen laut Gall grundsätzlich einen längeren Hinterkopf, denn dort sass die Anhänglichkeit, und die Störenfriede waren hinter den Ohren breiter als die, die Gall als Feiglinge ausgemacht hatte.

Mit seiner Lehre des Geistes, der Phrenologie, löste Gall einen Hype aus. Menschen tasteten sich gegenseitig die Köpfe ab und glaubten danach, einander zu erkennen. Später vermassen Nationalsozialisten Schädel aus rassistischen Gründen. Doch Gall war es um etwas anderes gegangen: Er suchte eine Antwort auf eine der grössten Fragen des Lebens: Wer bin ich? Ich habe eine kleine Delle oberhalb der linken Schläfe, dort wo laut Gall die Liebenswürdigkeit sitzt. Nur ist die Phrenologie längst widerlegt. Doch die Frage – wer bin ich? – ist geblieben.

Die Persönlichkeit ist das, was den einen vom anderen im Inneren unterscheidet. Sie bestimmt, wer sich sympathisch findet, wer Freundschaft schliesst, wer sich verliebt und wer sich bekriegt. Die eigene Persönlichkeit kann den Weg zum Mörder ebnen oder den zu einer guten Chefin. Kein Wunder, dass jeder Mensch so dringend wissen will, wer er ist. Als ­Teenager habe ich stundenlang Kreuze gesetzt. Die Psychotests in den Zeitschriften, die ich gelesen habe, waren albern. Aber nie wieder in meinem Leben habe ich mich so kritisch beäugt wie als 15jährige. Bin ich wirklich verliebt? Wieso werde ich eher traurig als wütend? Und wieso rede ich eigentlich ­immer so viel und schnell? Die Antworten erhoffte ich mir von der «Bravo».

Typisch Fisch

Heute lese ich in Zeitschriften Horoskope. Weniger die, die den Jahres-, Wochen- oder Tagesverlauf vorhersagen, sondern die, die mir etwas über meine Persönlichkeit erzählen. Ich sehe mich in meinem Sternzeichen heute erschreckend gut getroffen. Und ja, natürlich weiss ich, dass Astrologie so wissenschaftlich ist wie Phrenologie. Trotzdem haben Horoskope Einzug in die Popkultur gehalten.

Es sind längst nicht mehr nur verschrobene Weisshaarige, die von Planet-Stern-Konstellationen erzählen. Ich habe Bekannte, die sich damit entschuldigen, eben typisch Fische zu sein, wenn sie den Ort der Verabredung dreimal ändern oder seit einer halben Stunde unentschlossen in die Speisekarte starren. Oder jene, die das Scheitern einer Beziehung mit inkompatiblen Sternzeichen erklären. Ausschliesslich damit.

Ich bin Jungfrau, und wer an Astrologie glaubt, der weiss jetzt, dass der Glaube an Sternzeichen als Schicksal gar nicht zu meinem Sternzeichen passt. Die Jungfrau ist perfektionistisch und neugierig, zielstrebig und kritisch. Sie lässt sich ungern helfen und verhält sich wie ein Taschenrechner: Alles wird kalkuliert. Ich würde gerne sagen, dass das nicht auf mich zutrifft, aber genau das bin ich.

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