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Autor: Vanessa Buff
Freitag, 02. September 2016

Herr Frühauf, in den letzten Wochen hat der Streit zweier Pfarrerinnen in Fällanden für grosse Aufmerksamkeit gesorgt. Auffallend war dabei, dass die Öffentlichkeit schon früh über die Spannungen und später auch über das Strafverfahren informiert wurde. Halten Sie das für richtig?

Ich äussere mich nicht zu diesem Fall im speziellen, da es sich ja, wie Sie gesagt haben, um ein laufendes Verfahren handelt. Es ist aber sicher eine Gratwanderung, da Kommunikation immer eine Wirkung hat – im besten Fall deeskalierend, im schlechtesten Fall anheizend. Da eine Pfarrerin zudem eine öffentliche Person ist, hat die Öffentlichkeit ein gewisses Recht auf Information, solange der Persönlichkeitsschutz gewahrt bleibt.

Diese Abwägung zu treffen ist aber gerade für eine Laienbehörde äussert schwierig. Müssten die Verantwortlichen besser in Krisenkommunikation geschult werden?

Da wäre der Aufwand schlicht zu gross. Man kann nicht Tausende von Menschen in etwas ausbilden, das sie mit grosser Wahrscheinlichkeit niemals werden anwenden müssen. Und die Landeskirchen haben ja Kommunikationsabteilungen, die die Kirchgemeinden in solchen Fällen kompetent beraten können.

Am Konflikt von Fällanden sind viele Instanzen beteiligt: die Pfarrerinnen, die Kirchenpflege, der Kirchenrat. Ist das typisch für solche Konfliktsituationen – sind die Zuständigkeiten vielleicht zu wenig klar geregelt?

Normalerweise spielt das Subsidiaritätsprinzip: Konflikte sollen dort gelöst werden, wo sie entstehen. Von aussen betrachtet mag das manchmal unübersichtlich wirken, doch ich sehe darin kein Problem. Ich möchte ausserdem anmerken, dass im kirchlichen Umfeld sehr viele Menschen arbeiten; in der Zürcher Landeskirche sind es etwa 400 Pfarrpersonen, 1500 weitere Mitarbeiter und etwa nochmals so viele Ehrenamtliche. Gemessen daran ist die Zahl der Konflikte, die tatsächlich eskalieren, sehr gering.

Dennoch kommt es vor. Wo sehen Sie die Gründe dafür?

Stellen Sie sich eine Arbeitssituation vor, in der eine gewisse Routine herrscht. Das Team ist eingespielt, die Abläufe funktionieren, der Alltag ist geregelt. Doch dann geschieht etwas, das dieses System durcheinanderbringt. Ein neuer Mitarbeiter stösst hinzu oder ein Projekt wird aufgegleist – und dann zeigt sich plötzlich, dass das Gefüge doch nicht so stabil ist wie gedacht.

«Unterschiedliche Mentalitäten sind nicht automatisch ein Problem. Einer Wertediskussion tut es gut, wenn Menschen mit verschiedenen Einstellungen daran beteiligt sind.»

Dass die Rollen nicht geklärt sind oder dass Fragen, die sich eigentlich aufdrängen würden, bisher einfach unter den Teppich gekehrt wurden. Die Leute beginnen sich unwohl zu fühlen, kleine Missverständnisse bekommen mit einem Mal ein Gewicht – und aus einer unspezifischen Situation kristallisiert sich ein Konflikt heraus.

Wie erklären Sie sich denn, dass ein solches System so lange funktioniert hat – obwohl offensichtlich einiges nicht gestimmt hat?

Alltagsroutinen sind nun mal sehr stark. Zudem ist gerade dort, wo viele Menschen ehrenamtlich arbeiten, auch viel Goodwill vorhanden: Man will es grundsätzlich gut machen und arrangiert sich mit einigem, was einem bei genauerem Hinsehen nicht hundertprozentig gefällt.

Welche Rolle spielt im kirchlichen Umfeld das Aufeinanderprallen von progressiven und konservativen Mentalitäten?

Ich hatte mal mit einem Pfarrer zu tun, der selber ein urbanes Profil hatte, aber in einem sehr ländlichen Umfeld arbeitete. Er geriet dort in einen solchen Konflikt, dass er irgendwann mit dem Rücken zur Wand stand und sich eine andere Stelle suchen musste, wo es ihm dann bedeutend besser ging. Das heisst aber nicht, dass unterschiedliche Mentalitäten automatisch zu einem Problem werden, im Gegenteil: Einer Wertediskussion tut es gut, wenn Menschen mit verschiedenen Einstellungen daran beteiligt sind. Und es gehört zur Professionalität von Pfarrpersonen, dass sie damit umgehen können. Dass sie in einen Dialog treten und nicht einfach versuchen, den anderen das Eigene überzustülpen.

Gehen wir einen Schritt weiter: Wie kann ein Coaching oder eine Mediation helfen, wenn der Konflikt bereits eskaliert ist?

Die beiden Begriffe werden oft synonym verwendet, bedeuten aber eigentlich nicht das gleiche. Ein Coaching ist entwicklungsorientiert und soll einer Person dabei helfen, sich weiterzubilden oder aus einer bestimmten Situation herauszufinden. Für eine akute Streitsituation ist es nur bedingt geeignet, im Gegensatz zu einer Mediation. Sie hat zum Ziel, dass der Konflikt von den Beteiligten selbst und nicht von Aussenstehenden gelöst werden kann. Man gibt also keine Verantwortung ab, sondern bleibt Subjekt. Die Voraussetzung dafür ist, dass beide Parteien an einer Lösung interessiert sind und über eine gewisse Sprachfähigkeit verfügen, dass sie also ausdrücken können, was ihre Interessen sind und was in ihnen vorgeht.

Mit Verlaub – das klingt ein wenig nach Kuschelrunde…

Nein, eine Mediation ist ein sehr rationaler Prozess, der aus den Sozialwissenschaften heraus entwickelt wurde. Im wesentlichen besteht er aus fünf Schritten: Als erstes braucht es die Vereinbarung zwischen den Parteien und dem Mediator, dass man überhaupt eine Lösung finden will – und was das Ziel des Wegs sein soll. Danach kommen die Regelungspunkte, also die Aspekte, die die Beteiligten klären wollen. Als drittes geht es darum, die Ursachen des Konfliktes zu verstehen, und worin die eigene Beteiligung besteht. Darauf aufbauend kann man dann Lösungen entwickeln und diese in einem letzten Schritt umsetzen.

Und wenn der Prozess scheitert?

Nicht jeder Konflikt kann durch eine Mediation gelöst werden, manchmal braucht es den juristischen oder den therapeutischen Weg. Aber wo der Wille vorhanden ist, eine Lösung zu finden und sich auch selber zu bewegen, dort ist die Chance des Gelingens gross. Wichtig finde ich auch, dass die Lösung beispielsweise in einer beruflichen Situation nicht unbedingt darin bestehen muss, dass alle wieder gut zusammenarbeiten; es kann auch bedeuten, dass man friedlich auseinandergeht und einen für alle fairen Schlussstrich zieht.

Mit Alfred Frühauf sprach Vanessa Buff.

In der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Fällanden im Kanton Zürich schwelt seit Monaten ein Streit. Involviert sind vor allem die beiden Pfarrerinnen sowie Mitglieder der Kirchenpflege. Ende Juli eskalierte der Konflikt: Wie verschiedene Medien nach einer Mitteilung des Zürcher Kirchenrats berichteten, reichten die eine Pfarrerin sowie zwei weitere Personen Strafanzeige wegen Nötigung und Drohung ein. Besonders pikant daran ist, dass sich die Anzeige auch gegen die zweite im Dorf tätige Pfarrerin richtet.

Hintergrund sind mehrere anonyme Briefe, die im Frühjahr an die drei Betroffenen geschickt worden waren, wie die NZZ berichtete. Gemäss dem Glattaler hat der Konflikt aber schon eine längere Vorgeschichte: So soll der Präsident der Kirchenpflege eine interne Meinungsverschiedenheit bezüglich der Arbeitszeiterfassung im Kirchenblatt öffentlich gemacht haben – kurz vor der Pfarrwahl Ende Februar.

Die Pfarrerin, gegen die sich die Anzeige richtet, ist im August vorübergehend beurlaubt worden. Zudem soll nun eine externe Beratung helfen, die verfahrene Situation zu lösen. vbu

Alfred Frühauf studierte Theologie in Basel und arbeitete danach 17 Jahre als Gemeindepfarrer sowie als Spital- und Gefängnisseelsorger. Im Jahr 1996 trat er in die Gesamtkirchlichen Dienste der Evangelisch-reformierten Landeskirche Zürich ein und war von 2002 bis 2014 Kirchenratsschreiber. In dieser Funktion waren seine Schwerpunkte unter anderem der Rechts- und Personaldienst, die Beratung von Behörden und Pfarrschaft sowie Konfliktberatung und Krisenintervention. Anschliessend gründete er mit zwei Kollegen die F&F Prospektiv GmbH, die in den Bereichen Coaching, Supervision und Projektentwicklung tätig ist. vbu