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Bilder: 2041
Freitag, 17. März 2017

Die Burka ist zu einem Reizwort geworden. Sie steht für SVP-Panikmache, Terror, Patriarchat und Fanatismus. Definitiv nichts Gutes. Wo bei den meisten der Spass aufhört, fängt er für 2041 erst richtig an. Der Engländer, der anonym bleiben will, hat den Reiz der Verschleierung, das Spiel mit der Verborgenheit, das die Ganzkörperverhüllung bietet, für sich entdeckt. Seit Jahrzehnten ist es sein Hobby, sich in Burkas und selbstangefertigte Gewänder zu kleiden, die seinen Körper und sein Gesicht gänzlich bedecken. Was ihn dazu antreibt, darüber schweigt er.

 

Umso geheimnisvoller sind die Fotoserien, mit denen der Burkamann seit Jahren seine Verhüllungslust dokumentiert – und die Betrachter zum Teil seines Spiels macht. Unzählige Bilder hat der Burkamann im Internet mit Gleichgesinnten geteilt. Ein kleiner Kunstverlag in London hat eine Auswahl davon in einem Kunstband herausgegeben.

Mal zeigt sich 2041 in traditionellen Burkas, wie sie Frauen in Afghanistan und Pakistan tragen, mal posiert er in selbstgenähten Kreationen mit schwarzem Kapuzenpulli, die an die Vermummungsästhetik linker Globalisierungsgegner erinnern. Anstelle von der Grinsemaske des «Anonymous» ist das Gesichtsfeld dabei von einem blanken Stück Stoff bedeckt.

Auf wieder anderen Bildern gibt er sich in Glitzeranzug und purpurnem Umhang als augenloser Superman – oder gleicht er vielleicht doch eher dem unheimlicheren Superschurken Fantomas? Manche der Fotografien haben etwas Beklemmendes. Etwa jene, auf der er mit ausgestreckten Armen in einer weiten schwarzen Burka als Fledermausmann zu sehen ist. Die Pose erinnert an jene des AbuGhraib-Häftlings Satar Jabar. Das Foto, das amerikanische Peiniger von Jabar machten, zeigt den Gefolterten mit ausgestreckten Armen und schwarzer Haube über dem Kopf. Das Bild gelangte 2004 in die Medien und wurde zum Sinnbild des US-amerikanischen Scheiterns im Irakkrieg.

Dann wieder sieht 2041 aus wie ein harmloser Barbapapa – ein konturloser pinker Haufen mit unbändiger Phantasie, der sich im nächsten Moment in etwas anderes verwandeln könnte. Der Engländer treibt das Spiel mit den Identitäten bis zum Exzess. Die muffige Junggesellenwohnung, in denen die Aufnahmen entstehen, wird zum Schauplatz serieller Selbstinszenierungen dieses Mummenschanzes. Superheldenphantasien, Alltagsmotive und Terrorszenarien fügen sich dabei zu einem irritierenden Panorama der Träume und Albträume der Gegenwart.

2041 zu beobachten ist zugleich reizvoll und obszön. Komplize einer unbekannten Lust zu sein hat etwas Verstörendes – vielleicht gerade darum, weil es zum eigenen Begehren führt. Seine Verhüllungsspiele gehen weiter als das übliche «Verkleiderlis»: Das Fehlen des menschlichen Antlitzes irritiert. Immer ist da eine Hülle, die sein Gesicht verbirgt, immer ist da ein Stück Tuch, das verhindert, dass seine Inszenierungen zu einem Ende kommen. Ist da jemand? Oder gar nichts? Es ist nicht einmal sicher, ob es immer dieselbe Person ist, die sich unter all den Schleiern verbirgt. Der Burkamann ist buchstäblich «undercover», Hülle und Verhüllter in einem. Vielleicht steckt dahinter auch die Angst, ohne Hülle reizlos zu sein. Nichts als eine Hülle.

Die Identität des Burkamanns bleibt ein Geheimnis. Und doch hat er vielleicht eine Fährte gelegt, die zu seinem wahren Gesicht führt: Auf einer der Aufnahmen posiert er in einer eierschalenfarbenen Burka. Rechts neben ihm ist das gemalte Portrait eines Mannes zu sehen. Ist er es selbst, der auf dem Gemälde abgebildet ist?

2041 zeigt sich als gesichtsloses Objekt; er ist hyperpräsent. Am deutlichsten vielleicht auf dem Bild, wo er sich, von der Seite abgelichtet, in einer schwarzen Burka präsentiert: ein phallisches Ding, pures Objekt, das sich der Beobachtung aufdrängt, ohne selber zurückzuschauen.

Dann wieder kehrt 2041 die Rolle von Sehen und Gesehenwerden um. Eines der Bilder zeigt ein geschlossenes Balkonfenster. Nur vage Schemen sind dahinter zu erkennen. Ist es der Burkamann, der sich hinter dem halbtransparenten Vorhang verbirgt? Vielleicht blickt der Unbekannte hinter seinem Gitterstoff zurück, sieht mehr als die ahnungslosen Betrachter.

Verspürt 2041 manchmal auch die Lust zu verschwinden, von der Fülle des Stoffes verschlungen zu werden? Seine Selbstverbergung erinnert an die kindliche Freude, sich in einen dichten, samtenen Vorhang einzuhüllen und die Wonne zu verspüren, ganz vom weichen Flausch umfangen zu sein. Da zu sein und doch gänzlich verborgen vor allem und allen Blicken. Keinen Namen, keine Identität mehr zu haben. Nichts mehr zu sein als ein warmer Körper.

Wieder ein anderes Bild zeigt ein silbernes Burkakleid, das wie zufällig auf das Sofa geworfen ist. 2041 hat es abge – streift, es liegt wie der leere Kokon, aus dem ein Schmetter – ling entflogen ist. Er selber ist nicht mehr im Bild. Wer ist dieser Burkamann? Er ist ein anderer, würde Rimbaud vielleicht sagen, so wie jedes Ich. 2041 ist eine Wunsch – maschine, mit einer unbändigen Lust, immer wieder neue Hüllen zu tragen, neue Identitäten anzunehmen.

Sich in alles Mögliche verwandeln zu können, alles Denkbare zu sein und doch jede Form zu transzendieren ist ein alter menschlicher Traum, den – abgesehen von den Barbapapas – nur Gott selber sich erfüllt. In der islamischen Tradition hat Gott neunundneunzig Eigenschaften, in der biblischen entzieht er sich jeder benennbaren Qualität; «Ich bin, der ich bin» ist sein Name, «Du sollst dir kein Bildnis machen» das zweite Gebot. Und doch zeigt Gott sich mannigfaltig: Mal erscheint er als brennender Dornbusch, mal ist er im Wind, mal nimmt er menschliche Gestalt an.

Gott ist ein Geheimnis, er hat keine Gestalt – und doch zeigt er sich in allem. In der islamischen Mystik gibt es die Vorstellung, dass alle Dinge des Universums, die ganze Schöpfung der Welt der Sehnsucht Gottes entspringt. Auch der unergründliche Gott verspürt den Wunsch, gesehen zu werden: «Ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt werden; deshalb erschuf ich die Welt.»

Susanne Leuenberger ist Redaktorin bei bref.

2041: 2041. Here Press; London 2014; 126 Seiten; 37 Franken.