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Foto: ZVG
Freitag, 15. Januar 2016

Herr Dietrich, das Dummy zu Muslimen erscheint wenige Wochen nach den Anschlägen von Paris. Haben Sie spontan reagiert?

Nein. Wir hatten Muslime schon lange im Kopf. Das Thema erschien uns aber zu schwierig. Allerdings gab es schon die Nummer zu Juden, die entstand vor mehr als zehn Jahren – zu einer Zeit, als die Debatte in Deutschland noch weniger entspannt war. Damals versuchten wir, einen unverkrampften Zugang zum Thema zu finden und auch Nebensächliches zu zeigen. Die «Juden»-Ausgabe war unser Vorbild für die aktuelle Nummer.

Sie spielen gerne mit Tabus. Die Dummy-Ausgabe zu Schmerz, die den Penis eines Performancekünstlers, Illustrationen weiblicher Schamlippen und Hakenkreuz-Tattoos russischer Gefängnisinsassen zeigte, sorgte für Boykottaufrufe. Hatten Sie keine Angst, den Unmut streng gläubiger Muslime zu wecken?

Nein, wir machten uns eigentlich keine Sorgen. Es geht uns im aktuellen Dummy nicht um Provokation. Wir würden nie Mohammed-Karikaturen zeigen. Ausserdem sind wir ja nicht so gross und bedeutend. Ich glaube nicht, dass viele strenge Muslime unser Magazin lesen.

Das Muslime-Dummy zeigt Fotostrecken über junge Frauen in Saudiarabien, die in künstlichen Grottos Parties feiern, es gibt den Bericht über den deutschen Juden Max von Oppenheim, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Osmanen zum «heiligen Krieg» gegen Engländer und Franzosen anstacheln wollte, und Portraits homosexueller Musliminnen und Muslime – skurrile Geschichten.

Ja, unser Ziel ist, einen neuen Blick auf Dinge zu werfen. Wir haben uns zur Vorbereitung den Islam-Stern und das Islam-Geo angeschaut. Wir wollten andere Geschichten bringen. Dummy hat keinen Bildungsauftrag und keinen Anspruch, das gesamte Wissen abzubilden. Das macht es dann umso einfacher. Am Schluss hatten wir zu viele Themen. Aber wir berichten nicht nur über kuriose Dinge. Ein Teil der Geschichten ist ja durchaus seriös.

Dummy-Chefredaktor Fabian Dietrich.

Zum Beispiel der berührende Text eines Gastarbeitersohns, der sich von seinem Vater und dem traditionellen Leben der Einwanderergeneration entfernt hat. Und vom Islam. Was aber auffällt, ist, dass eine muslimische Innensicht fehlt. Warum?

Tatsächlich fiel es uns schwer, muslimische Autoren zu finden. Es gibt in Deutschland viele türkischstämmige Autoren, aber es gibt weniger Muslime, die so über ihren Glauben schreiben, dass das für unser Heft gepasst hätte. Wir wollten aber auch eine Innensicht. Deshalb die Idee, über einen Selbstversuch als Muslim zu schreiben.

In Ihrem eigenen Text beschreiben Sie, wie Sie in einer Fussgängerzone zwischen Deichmann und der Back-Factory zum Islam übergetreten sind. An einem «Lies!»-Stand. Haben Sie das wirklich gemacht?

Ja, klar. Aber ich habe länger darüber nachgedacht. Ob das nicht bescheuert ist, eine Religion zu testen. Ob ich Menschen damit nicht zu sehr angreife. Ich hatte zuvor schon öfter über Selbstversuche geschrieben. Etwa zu Drogen. Warum nicht zum Muslimsein, dachte ich. Es ist ja total einfach, Muslim zu werden. Das Sprechen des Glaubensbekenntnisses genügt. Klar war aber, der Test muss ergebnisoffen bleiben. Ich kann nicht von Anfang an sagen, das mache ich jetzt eine Woche, und dann ist Schluss.

Und wie war es?

Ich bin ziemlich naiv an die Sache rangegangen. Lügen oder mich verstellen war nicht nötig. Es hat mich schlicht niemand gefragt, was ich beruflich mache. Ich muss sagen, ich wurde total herzlich und hilfsbereit aufgenommen von den jungen Männern, bei denen ich das Glaubensbekenntnis sprach. Deshalb auch mein Versuch, ohne zu werten zu schreiben. Ich habe nie das Wort Salafismus verwendet, obwohl die «Lies!»-Leute von aussen so bezeichnet werden. Selber sehen sie sich aber nicht so.

Was ist der Reiz, Muslim zu sein?

Dieser Islam, wie ich ihn erlebt habe, ist wohl eher was für ganz junge Menschen. Und man muss in einem gewissen Zustand sein, um empfänglich zu werden. Eher einsam, wenig Freunde haben, oder was Schlimmes angestellt haben.

Nach vier Wochen gaben Sie selber auf.

Ja. Ich war eben nicht in dem Zustand. Das war mir zu wenig intellektuell, zu sehr auf das Befolgen von strikten Regeln und Verboten ausgerichtet. Ich fühlte mich eingezwängt, zu wenig frei.

Und sonst? Haben Sie es überhaupt mit der Religion?

Oh, da muss ich sagen, ich habe so was nie gehabt. Meine Eltern sind bereits aus der Kirche ausgetreten. Religion habe ich – bis auf den Selbstversuch mit dem Islam – nur von aussen erlebt. Aber ich bin offen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Religion auch befreiend sein kann.

Wird es bald auch einmal ein Dummy zu Christen geben?

Wir haben eben über Facebook diesen Vorschlag bekommen. Ja, warum nicht? Da gibt es bestimmt viele interessante Themen. Ich denke da an einen Bericht über die Freikirchen in Afrika. Da treibt das Christentum die wildesten Blüten. Ich war mal selber dort und traf einen Scharlatan, der sich selbst für den Propheten hält. Er verkauft seine Visitenkarten als eine Art Heilbringer. Aber klar, es bräuchte auch seriöse Berichte. Aber doch, ein Dummy zu Christen wäre spannend.

Dummy gibt es schon seit dreizehn Jahren. bref erscheint zum allerersten Mal. Was ist das Erfolgsrezept eines guten Magazins? Haben Sie Tipps?

Überraschen Sie Ihre Leserinnen und Leser. Wiederholen Sie sich nicht. Bringen Sie neuartige Themen, wechseln Sie die Gestaltung, gehen Sie nicht auf eingetretenen Pfaden. Wenn du das Magazin in die Hand nimmst, sollst du nicht wissen, was drinsteht.

Mit Fabian Dietrich sprach Susanne Leuenberger.