Mit der Präzision eines Uhrmachers drapiert Alfred Dünnenberger das Lametta. Nicht das neue aus Plastik, oh nein, das traditionelle metallene muss es sein, da ein Faden über einen Zweig, dort ein feiner Streifen, damit sich die Kugel darunter nicht mehr ständig nach innen drehen kann. Wieder und wieder kreist Dünnenberger um den Baum, um für jedes Schmuckstück den richtigen Ort zu finden.
Jahrelang hat er seine historische Weihnachtssammlung nur Freunden und Bekannten in seinem Chalet im zugerischen Baar gezeigt. Nun ist der grösste Teil davon im Museum Schloss Gruyères zu sehen. «Mon Beau Sapin» heisst die Ausstellung, «Oh Tannenbaum», und der Tannenbaum ist auch ihr Herzstück. Im Gewölbekeller des Schlosses steht er, über zwei Meter gross, aus stabilem Plastik; zwischen 1700 und 2000 Objekte hängen daran, schätzt Alfred Dünnenberger. Einige Hundert weitere liegen in Vitrinen oder hängen an kleineren Bäumen und Gestellen. Die ältesten Stücke sind über 120 Jahre alt, und alle sind sie Zeugnisse ihrer Zeit. Angefangen mit dem Konterfei von Charlie Chaplin über die ganz einfachen Bastelarbeiten von Kindern aus der Zeit der Jahrhundertwende bis hin zum «Franzosenschwein», mit dem die Deutschen vor und während des Ersten Weltkriegs über ihre Nachbarn spotteten.

Sieben Monate lang hat ein Händler diese Puppenstube für Alfred Dünnenberger aufbehalten – so lange, bis dieser sich zum Kauf durchringen konnte.
Infiziert mit dem «Wiähnachts-Chäfer», wie er seine Sammelmanie manchmal selber nennt, wurde Dünnenberger schon zu Beginn der 80er Jahre während eines Spaziergangs durch die Zürcher Altstadt. «Ich wurde damals wie magisch angezogen von diesem Laden, von dem Christbaum im Schaufenster, der mit historischem Schmuck behängt war», erzählt er. Das Geschäft gehörte einer gewissen Frau Bächle, und die spürte wohl ganz genau, dass der neue Kunde kaufbereit war. Also erklärte sie ihm die verschiedenen Techniken, mit denen man Christbaumschmuck früher hergestellt hatte, und brachte ihm die kulturelle Bedeutung der einzelnen Stücke näher. Am Ende verliess Dünnenberger den Laden am Rindermarkt mit einem Jaguar aus gepresstem Karton, ein schlichtes Stück zwar, aber besonders, weil die sogenannte Dresdner Pappe nur bis zum Ersten Weltkrieg hergestellt wurde. «Frau Bächle meinte, wenn ich schon etwas kaufe, dann etwas Richtiges. Eigentlich hat sie mir den Wiähnachts-Chäfer angehängt.»

Ein Kakadu aus Glas und Glasfasern. Weil er sich durch die Aufhängung am Rücken bewegt, wird er «Schwirrvogel» genannt.
Doch auch das Weihnachten seiner Kindheit hat ihn geprägt. Aufgewachsen ist er im katholischen Baar in einer protestantischen Familie, der Vater ein Spengler mit eigenem Geschäft, angewiesen auf Kundschaft. Da war Zurückhaltung angezeigt beim Feiern religiöser Feste. Weihnachten wurde im engsten Kreis begangen, der Christbaum in der verschlossenen Stube geschmückt und erst an Heiligabend den Kindern präsentiert. «Solange es nicht geläutet hat, durften wir nicht hinein», erinnert sich Dünnenberger. Danach sass die Familie zusammen um die Tanne, es wurde gesungen und gegessen, Mandarinen und Guetsli, die von der Grossmutter schon während der Adventszeit gebacken worden waren. Kleine Rituale, Glücksmomente, von denen Dünnenberger spricht, als hätte er sie erst gestern erlebt. Hatten Frau Bächle und ihr Weihnachtsvirus vielleicht deswegen so leichtes Spiel bei ihm?
Wer Alfred Dünnenbergers Sammelleidenschaft wirklich verstehen will, der sollte noch ein wenig weiter zurückgehen. Oder das Chalet besuchen, in dem er und seine Frau seit bald vierzig Jahren leben.
Ein Sinn in allem
In der Stube riecht es nach Tee und Brockenhaus. Auf alten Holzbalken, die einst wohl eine Wand gestützt haben, stehen heute Grammophone, kleine, grosse, mit Rollen und Plattentellern, hergerichtet wie in einem Museum. Ein besonders stattliches Exemplar steht ein Stück dahinter auf einem Tisch, der Elefant, wie es Dünnenberger nennt, und durch seinen Trichter schallt eine Frauenstimme. «Mio caro, vinceró, lo giuro», singt sie, und bei den hohen Tönen scheppert es ein wenig. «Als würde sie da drin sitzen», sagt Alfred Dünnenberger, die Hand an der Brust.

Zum Christbaum gehört auch das Licht. Da offene Flammen aber riskant sind, wurden die Kerzen früher oft auf separate Gestelle neben der Tanne gesteckt.
Von seinen fünf Geschwistern interessiert sich keines so wie er für die Oper und für das Theater. Und keines ist so wie er als Fünfjähriger an Kinderlähmung erkrankt. Dünnenberger erinnert sich noch, wie er nach Wochen – vielleicht waren es auch Monate – im Absonderungshaus das Laufen neu erlernen musste. Wie er sich dabei an der Wand abstützte, wie er immer wieder operiert wurde, wie er viel Zeit zuhause verbrachte, mit Lesen und Musikhören. «Meine Krankheit hat mich auf meinen Weg gebracht», sagt Dünnenberger heute, ein paar Tage nach der Vernissage auf Schloss Gruyères, in seiner Stube. «Ich entwickelte Strategien, um damit umzugehen: Alles, was ich nicht tun konnte, war schlecht – Sport zum Beispiel. Und alles, was ich tun konnte, war gut.» Sammeln zum Beispiel: zuerst Grammophone, Platten, Bücher, Blechdosen. Später den Weihnachtsschmuck, den seine Frau und seine Söhne jeden Advent vom Estrich herunterholen, weil er selber es nicht mehr so gut schafft.
Auch die Art, wie der 70jährige auftritt – ein bisschen exzentrisch, oftmals mit Fliege, immer mit glatten, zu einem Pferdeschwanz gekämmten Haaren –, hängt mit der Kinderlähmung zusammen. «Weil ich ein wenig humpelte, fiel ich ja ohnehin auf. Irgendwann sagte ich mir dann: Jetzt erst recht!» Und so reagierte er auch, als bei ihm Ende der 90er Jahre Post-Polio auftrat, ein Syndrom, das Jahrzehnte nach der eigentlichen Infektion erneut Muskelschwäche verursacht. 2005 wurde Dünnenberger, der Volkswirtschaft studiert und jahrelang für einen der grössten Mineralölkonzerne Europas gearbeitet hatte, deswegen frühpensioniert – und widmete von da an fast seine gesamte Zeit dem Thema Weihnachten. «Es gab für mich kein Halten mehr. Ich konnte ja nicht wandern oder reisen gehen wie andere Pensionäre.»

Mit wenigen Handgriffen lassen sich die sogenannten Faulenzerkrippen aus Papier und Karton aufbauen. Ebenso schnell sind sie wieder zusammengefaltet und verstaut.
Manchmal macht Dünnenberger eine göttliche Fügung dafür verantwortlich, dass er immer wieder seltene Stücke findet, die es in seine Sammlung aufzunehmen lohnt. «Eine Schutzbehauptung, damit er wieder einmal etwas kaufen kann», sagt seine Frau dazu. Und dann, ernster: «Er sollte den lieben Gott da nicht hineinziehen.» Doch Dünnenberger bleibt dabei. «Natürlich glaube ich nicht wirklich, dass Gott mir bestimmte Schmuckstücke vor die Füsse legt. Aber wenn ich so etwas sage, dann ist das Ausdruck meiner positiven Lebenseinstellung: Alles im Leben hat einen Sinn, und darin steckt etwas Göttliches.»
Dünnenberger sagt das ganz ohne Pathos, schlicht, wie so vieles, das bei anderen kitschig klingen würde. Auch wenn er über seinen Weihnachtsschmuck spricht, tut er das – neben einer grossen Kennerschaft – mit einer Freude, die sonst Kindern eigen ist. «Das ist das Schönste, was man sich vorstellen kann», sagt er zum Beispiel über sein aktuelles Lieblingsstück, einen weihnächtlichen Puppenstubenautomaten. Dreht man dessen eingebaute Kurbel, spielen die sechs Figuren mit ihren Geschenken, und zu Stille Nacht dreht sich der Christbaum auf dem Tisch. Und dann, nach einer kurzen Pause: «Ich habe ein wahnsinniges Glück, dass ich meine Leidenschaft so ausleben kann. Ich meine, das ist doch eigentlich gschpunne.»

Geistige Nahrung statt Süsses und Geschenke: Die «Adventsverheissungen» sind die Vorgänger der modernen Adventskalender. Geprägt wurde der Brauch, Bibelstellen auf Zettelchen zu schreiben und täglich eines davon zu lesen, von Johann Hinrich Wichern; er soll auch den Adventskranz erfunden haben.
Schmuck mit Seele
Für seine Passion nimmt Dünnenberger allerdings auch einige Entbehrungen in Kauf – und seine Familie mit ihm. Den für die Puppenstube geforderten Betrag zu bezahlen, hat er sich sieben Monate lang überlegt – das Geld hätte schliesslich auch anderweitig ausgegeben werden können. Während seiner ersten öffentlichen Ausstellung 2015 in Zug war er jeden Tag vor Ort und führte Besucher durch die Räumlichkeiten – eine körperliche Anstrengung, die er nun auf Schloss Gruyères in etwas geringerem Masse wiederholt. Und wenn er einmal nicht mehr sein wird, liegt es an seinen Söhnen, den weihnächtlichen Nachlass zu verwalten – eine Herkulesaufgabe, von der noch nicht ganz klar ist, wie sie gelöst werden soll. Also wozu das alles?

Christbaumschmuck ist immer auch ein Zeichen seiner Zeit: eine Jazzband aus den 20er Jahren, in denen der amerikanische Musikstil Europa eroberte. Unten ein sogenannter Tauglichkeitsstrauss mit dem Portrait von Kaiser Franz Josef von Österreich, mit dem zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Aufnahme in die Armee dokumentiert wurde.

Ebenfalls zu sehen sind der deutsche Kaiser Wilhelm (links) sowie das «Franzosenschwein» (oben, Bildmitte).
In seiner Stube, umgeben von Krippen und Weihnachtskalendern, von denen trotz der Ausstellung noch einige übriggeblieben sind, findet Alfred Dünnenberger schlichte Worte. «Moderner Schmuck hat nicht diese Seele», sagt er. «Mit meiner Sammlung aber kann ich den Menschen zeigen, was Weihnachten früher einmal bedeutet hat. Manchmal konnte man nicht mehr als ein paar Äpfel oder Nüsse und selbstgebastelten Schmuck an den Baum hängen – und hat damit vielleicht trotzdem einen kleinen Glücksmoment geschaffen.»

Diese Gebäckstücke sind über hundert Jahre alt und haben wohl nur durch Zufall überlebt. Entdeckt wurden sie in einer Bäckerei in Süddeutschland, wo sie einst als Muster beiseite gelegt und dann vergessen wurden. Alfred Dünnenberger hängt sie an den «Föhrerbogen»: ein Gestell aus Holz, das von einem Kranz aus Buchsbaumzweigen umrahmt wird; es diente auf der kargen Nordseeinsel Föhr traditionell als Christbaumersatz.

Sie haben Ihre Geschenke beisammen, aber kein schönes Papier mehr im Haus? Trennen Sie einfach die folgende Doppelseite heraus und verwenden Sie sie als Geschenkpapier. Die Bilder zeigen Öllämpchen aus Glas sowie den Dünnenbergerschen Christbaum in voller Pracht.

Vanessa Buff ist stellvertretende Redaktionsleiterin bei bref.
Der Fotograf Michel Gilgen lebt in Zürich.
Seit mehreren Jahren stellt das Museum Schloss Gruyères jeweils zur Weihnachtszeit verschiedene Krippen aus. Dieses Jahr wollte das Team um Kurator Filipe Dos Santos zwar im Thema bleiben, aber dennoch etwas Neues ausprobieren. Entstanden ist die Austellung «Mon Beau Sapin», die rund 2700 Objekte aus der Sammlung Alfred Dünnenbergers zeigt. Im Zentrum steht der Christbaum, an dem alleine zwischen 1700 und 2000 Stücke hängen. Besichtigt werden kann die Ausstellung noch bis zum 15.Januar, täglich zwischen 10 und 17Uhr.
Weitere Informationen zur Ausstellung: www.chateau-gruyeres.ch
Weitere Informationen zur Sammlung: Weihnachtszeit. Buch zur ersten öffentlichen Ausstellung 2015 im Museum Burg Zug. Landtwing-Verlag; Zug 2015; 479 Seiten. vbu