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Freitag, 28. Oktober 2016

Ist die Gleichstellung von Frau und Mann in den Schweizer reformierten Kirchen überhaupt noch ein Thema? Schliesslich haben die letzten Jahrzehnte gewaltige Veränderungen gebracht: Frauenordination, aktives sowie passives Wahlrecht und gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten heute als selbstverständlich. Die geschlechtergerechte Sprache hat Einzug in Liturgie und Predigt gefunden. Und in den letzten zwei Jahren wurden der Kirchenbund sowie die reformierten Landeskirchen von St. Gallen und Bern-Jura-Solothurn als besonders familienfreundliche Unternehmen mit dem Prädikat «Familie und Beruf» ausgezeichnet.

Auch viele Mitglieder der Frauenkonferenz des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) fanden anscheinend, dass das Thema ein alter Zopf sei: Nur knapp dreissig von ihnen hatten den Weg nach Bern gefunden, davon gerade einmal zwei aus der Westschweiz. «Die Frauen, mit denen ich geredet habe, sagten mir, sie hätten dringendere Probleme», so die Waadtländerin Colette Dufour bedauernd.

«Braucht’s das noch?»

Das abnehmende Interesse an Gleichstellungsfragen zeigt sich auch im institutionellen Bereich: In den letzten Jahren wurden mehrere kirchliche Frauen- und Genderstellen aufgelöst, weil die Einnahmen weniger und die Probleme nicht mehr als dringlich betrachtet wurden, wie die Genderverantwortliche der aargauischen Landeskirche Sabine Brändlin ausführte. An den theologischen Fakultäten sei feministische Theologie zudem kaum noch ein Thema, ergänzte die Zürcher Theologiestudentin Laura Klingenberg. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen fragten: «Braucht’s das überhaupt noch?»

Dass schon einiges erreicht ist, stellten auch die Referentinnen nicht in Frage. Andererseits zeigten die «Zahlen und Fakten», die Sabine Scheuter, Präsidentin der Frauenkonferenz, vortrug, ein nicht ganz so rosiges Bild. Gemäss Scheuter liegt in der Zürcher Landeskirche der Anteil von Frauen im Pfarramt inzwischen bei 37 Prozent, Tendenz leicht steigend. Allerdings arbeiten die meisten von ihnen Teilzeit, so dass der eigentliche Arbeitsanteil eher bei 25 Prozent liegt. Und nur zwei Frauen stehen einem der zwölf Dekanate vor. Im Zürcher Kirchenrat – der Exekutive – amten zwei Frauen und fünf Männer. In der Abgeordnetenversammlung des SEK ist nur rund ein Viertel der Mitglieder weiblichen Geschlechts. Und schweizweit ist die Zahl der Kirchenpräsidentinnen seit 2006 sogar von acht auf zwei zurückgegangen.

Kirche als Spiegel der Gesellschaft

Der Gender-Gap ist also noch lange nicht überwunden. Doch woran liegt das? Zum einen seien die Kirchen eben auch ein Spiegel der Gesellschaft, hiess es an der Konferenz. So seien in Politik und Wirtschaft nicht mehr Frauen in Leitungspositionen tätig als in den Kirchen. In der Wirtschaft seien es sogar deutlich weniger. Dazu komme, dass sich viele Frauen neben Familie und Beruf nicht noch die zeitintensive Arbeit in kirchlichen Leitungsfunktionen aufhalsen wollten. Ebenfalls ins Spiel gebracht wurde die «Token-Theorie»: In den Kirchen herrsche wie in anderen Institutionen das Gefühl, nach Einstellung einer weiblichen Führungskraft «seine Pflicht getan zu haben», so dass bei Neubesetzungen dieser Aspekt nicht mehr berücksichtigt werde.

Die Zürcher Kirchenrätin Esther Straub warnte in diesem Zusammenhang vor der «Teilzeitfalle», in die viele Frauen gerieten, weil sie in der Familienphase ihr Arbeitspensum zu stark reduzierten. Dies könnten sie später nur schwer wieder rückgängig machen. Immer noch gingen so Frauen in der «Pipeline» vom Studium zur Leitungsfunktion verloren. Inzwischen seien mehr als die Hälfte der Theologiestudierenden Frauen, aber im Pfarramt seien sie immer noch unterrepräsentiert. «Vielleicht sollten die Kirchen erst einmal fragen, wohin die aufwendig ausgebildeten Theologiestudentinnen verschwinden, statt teure Quereinsteigerkurse zu bezahlen», sagte Straub.

Wie wäre es mit «Quotenfrauen»?

Die Mitglieder der Frauenkonferenz dachten auch über allfällige Mittel zur Gegensteuerung nach. Genderstellen hätten dabei weiterhin eine wichtige Aufgabe, sagte Sabine Brändlin. Sie müssten allerdings in der Institution verankert sein und angehört werden. Vielversprechend seien auch Mentoring-Programme, in denen Frauen mit Erfahrung in Führung und Leitung solche Frauen betreuten, die ein Leitungsamt für sich vorsehen oder gerade damit angefangen haben. Ein solches Programm führten etwa die Genderstellen der Zürcher, Aargauer und Baselbieter Kirchen 2015 durch.

Und dann wäre da noch die vielfach diskutierte Frauenquote. Skandinavische Länder hätten sehr gute Erfahrungen damit gemacht, so die Bündner Kirchenrätin Miriam Neubert. Inzwischen sei dort ein angemessener Frauenanteil in Leitungsgremien selbstverständlich, die herablassende Rede über «Quotenfrauen» gebe es nicht mehr. Auch in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat eine schon 1989 gefasste Zielvorgabe zur Frauenquote gute Wirkung gezeigt: Inzwischen sind 48 Prozent der EKD-Synodalen Frauen.

Ausserdem sei die Schweiz, wie einige Anwesende bemerkten, bei vielen anderen Aspekten schon ein ausgeprägtes «Quotenland». Wegen ihrer geografischen und sprachlichen Heterogenität werde wo immer möglich darauf geachtet, dass in den Gremien alle Regionen und Sprachgemeinschaften berücksichtigt würden. Und da stellt sich dann doch die Frage, warum ein Quotentessiner auf seine Position stolz sein soll und eine Quotenfrau nicht.

Marianne Weymann.

Im Sommer 1999 wurde die Frauenkonferenz des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) gegründet. Sie hat zum Ziel, in den Kirchen das Bewusstsein für Gender- und Diskriminierungsfragen zu schärfen und feministische Erkenntnisse in die kirchliche Diskussion einzubringen. Zudem will sie die Vernetzung zwischen den Kirchen und den Organisationen für Frauen- und Genderfragen fördern.

Fünf bis neun Frauen bilden den Leitungsausschuss der Frauenkonferenz. Diese ist mit zwei Sitzen in der Abgeordnetenversammlung des SEK vertreten. Die Frauenkonferenz tagt zweimal jährlich zu einem aktuellen Thema. vbu