Was bedeutet es, 2017 in der Schweiz reformiert zu sein? Die Podiumsdiskussion zu dieser Frage war im Vorfeld der zweitägigen Abgeordnetenversammlung (AV) des SEK in Bern mit Spannung erwartet worden. Am Montagnachmittag nahmen schliesslich Vertreter von Kirche, Politik und Wirtschaft dazu Stellung – und das durchaus kontrovers.
Die kirchenexternen Teilnehmer gaben dem Gespräch im Hotel Bern von Anfang an eine religionspolitische Stossrichtung. Isabelle Chassot, Direktorin des Bundesamts für Kultur, verwies auf Globalisierung und Migration, die die Schweizer Gesellschaft veränderten. Es gelte neu zu bestimmen, wie die Reformierten sich einbrächten und wie das Verhältnis von Kirche und Staat zu gestalten sei. Der baselstädtische Regierungspräsident Guy Morin stimmte dem zu. Er vermisse die Stimme der Reformierten in öffentlichen Religionsdebatten, etwa in Bezug auf den Umgang mit Wertekonflikten. Christina Aus der Au, Präsidentin des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2017 in Berlin, widersprach: Die Kirche bringe sich aktiv in gesellschaftliche Prozesse ein, etwa in der Asylpolitik. Der SEK beteilige sich am Ausschaffungsmonitoring und viele Kirchgemeinden gewährten Migranten Kirchenasyl.
Zu denken geben dürfte vor allem der Beitrag des Wirtschaftsvertreters Rudolf Wehrli. Der Verwaltungsratspräsident des Chemieunternehmens Clariant sagte, dass sich die Sprache der Kirche weit von der Wirtschaft und dem säkularen Alltag entfernt habe. Er gab sich kirchenkritisch, aber nicht ablehnend. «Ich bin calvinistisch-puritanisch sozialisiert. Ich sehe grundlegende protestantische Werte wie Aufrichtigkeit heute immer mehr erodieren.» Wehrli brachte den Konsens der kirchenexternen Vertreter auf den Punkt: den Wunsch, dass kirchliche Akteure sich stärker in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des religiösen Friedens einbringen sollten – und dies in einer Sprache, die verstanden wird.
Bericht geht zurück in den Rat
Die Sprache und der geeinte Auftritt der Reformierten beschäftigten die Abgeordneten des SEK auch auf einer ganz praktischen Ebene: Am Dienstagmorgen wurde der vom Rat ausgearbeitete Schlussbericht zur «Bündelung der kirchlichen Kommunikation Schweiz» vorgestellt.
«Ich sehe grundlegende protestantische Werte wie Aufrichtigkeit heute immer mehr erodieren.» Rudolf Wehrli, VR-Präsident von Clariant
Bei dem Dokument handelt es sich um eine überarbeitete Fassung eines Schlussberichts, der den Abgeordneten bereits an der Frühlings-AV 2015 vorgelegt, von ihnen jedoch nur als Zwischenbericht genehmigt worden war.
Der revidierte Bericht skizziere nun eine detaillierte «Kommunikationsstrategie der Reformierten Schweiz», so Ratsmitglied Lini Sutter-Ambühl.
Wie bereits die Vorgängerversion wurde der Bericht jedoch von diversen Mitgliederkirchen als zu wenig fassbar kritisiert. 42 von 67 Abgeordneten folgten dem Antrag von Heinz Fischer, der im Namen der Mitgliederkirchen Zentralschweiz und Tessin eine weitere Konkretisierung forderte. Der Schlussbericht solle strategische Meilensteine formulieren, einen Zeitplan präsentieren und die Akteure und Aufgaben der Umsetzung benennen. Der Schlussbericht geht nun in den Rat zurück.
Sabine Brändlin gewählt
Neben diesem Kerngeschäft sowie der Podiumsdiskussion bestimmten Neuwahlen die zweitägige Herbst-AV. Mit 36 Stimmen bei einem absoluten Mehr von 34 Stimmen wurde Sabine Brändlin (BL) in den SEK-Rat gewählt. Sie setzte sich gegen die ebenfalls kandidierende Doris Wagner-Salathe (BL) durch. Brändlin ersetzt die ausscheidende Regula Kummer und wird ihr Amt von Januar 2017 bis zum Ende der laufenden Mandatszeit 2018 ausführen. Dass Kummer durch eine Frau ersetzt wurde, entsprach dem dringenden Wunsch der SEK-Frauenkonferenz. Brändlin ist seit 2016 Mitglied der Geschäftsleitung der Aargauer Landeskirche und verantwortet den Bereich «Seelsorge und kantonale Dienste». Zuvor leitete sie die Fachstelle «Frauen, Männer, Gender».
Des weiteren ersetzt der Neuenburger Pfarrer Pierre de Salis die zweite Vizepräsidentin des AV-Büros, Anneliese Hegnauer. De Salis sass bisher in der Nominationskommission, sein Nachfolger dort wird Gilles Cavin (VS) . Für die Amtsperiode 2017 / 2018 übernimmt die bisherige Vizepräsidentin Claudia Haslebacher das Präsidium des Büros der Abgeordnetenversammlung vom scheidenden Jean-Marc Schmid.
Kostenvoranschlag gutgeheissen
Zu den weiteren Geschäften gehörte der Beschluss der AV, dass nicht zweckgebundene Gelder des Fonds für Schweizer Kirchen im Ausland zugunsten der Seelsorge in den Bundeszentren verwendet werden können. Zusätzlich beschlossen die Abgeordneten, die Bundeszentrumseelsorge 2017 mit einem ausserordentlichen Beitrag von 350 000 Franken zu unterstützen. Mit Einstimmigkeit wurde der Kostenvoranschlag für 2017 mit einem budgetierten Aufwandüberschuss von knapp 200 000 Franken und Mitgliederbeiträgen von gut 6 Millionen Franken angenommen.