Noch ist der Morgen kühl und frisch in Genua. Die aufgehende Sonne wirft einen Schatten auf das noble Castelletto-Quartier im Stadtzentrum. Sobald sie hoch am Himmel steht, wird es in der ligurischen Hafenstadt heiss und feucht.
Pfarrer William Jourdan steht in Jeans und Poloshirt an der befahrenen Via Assarotti vor einem Haus aus dem 19. Jahrhundert. Ein schweres Holztor, darüber die Inschrift: CHIESA EVANGELICA VALDESE. «Willkommen bei den Waldensern», sagt William Jourdan freundlich und weist den Weg ins Innere der Kirche. Das Gotteshaus ist gross, mit Erdgeschoss und Empore. Marmor und Holz dominieren die schlichte Einrichtung. In Zehnerreihen stehen die Bänke, und ganz vorne, hinter einem Kreuz, wurden die Worte DIO E AMORE – Gott ist Liebe – in Stein gemeisselt.
Noch vor 150 Jahren hätte diese Kirche nicht an solch zentraler Lage in Genua stehen dürfen. Den Waldensern waren von der Strasse zugängliche Kirchen verboten, sie wurden in die Obergeschosse und Hinterhäuser verbannt. Kein katholischer Passant sollte mit dem Glauben der Waldenser konfrontiert und womöglich angelockt werden.
Dieses Gesetz reiht sich ein in eine Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung der Waldenser. Sie begann, als im 12. Jahrhundert Petrus Valdes, ein Kaufmann aus Lyon, beschloss, seinen Besitz zu verkaufen, fortan als Wanderprediger unterwegs zu sein und das Evangelium zu predigen. Etwas, das strikte dem Klerus vorbehalten war. Valdes und seine Anhänger lehnten zudem wichtige Pfeiler des Katholizismus ab. Sie waren etwa gegen die Heiligenverehrung und den Ablass.
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