Die «Ehe für alle» widerspricht christlichen Werten.
Die Ehe im biblischen Sinn bewährt sich seit 3000 Jahren.
Durchaus. Allerdings nicht ganz so traditionell, wie sich das die Gegner der «Ehe für alle» erhoffen. Die Bibel ist voll mit für uns fremden Ehe-Vorstellungen. So hat Jesus beispielsweise seine Jünger dazu aufgefordert, Frau und Kinder zu verlassen, um ihm zu folgen. Die Leviratsehe wiederum sieht vor, dass man die Frau des kinderlos verstorbenen Bruders heiraten soll, ungeachtet der Anzahl eigener Frauen. Und dann ist da noch Sara, die glaubte, keine Kinder bekommen zu können, und deshalb ihren Ehemann Abraham anwies, mit ihrer ägyptischen Sklavin Hagar intim zu werden. In der Gesamtheit aller Geschichten hatte die Ehe als Institution also primär die Aufgabe, für legitime Söhne als Nachkommen zu sorgen. Ohne Sex ging das nicht, ohne Liebe schon eher. Für postmoderne Romantik sind die Geschichten aber mit Sicherheit rund zwei Jahrtausende zu alt.
Die «Ehe für alle» als theologische Frage kann nicht an der Urne entschieden werden.
Doch, kann sie. Zumindest unter der Voraussetzung, dass anderen selbstständiges Denken attestiert wird (reformiert) oder die Hoffnung besteht, dass der Heilige Geist einigermassen gleichmässig auf die stimmberechtigte Bevölkerung einwirkt (katholisch).
Die kirchliche Tradition verurteilt Homosexualität.
Dass Frauen keine vollwertigen Menschen sind, war auch mal Teil der kirchlichen Tradition.
Die Kirche darf nicht jedem Trend hinterhereilen.
Dass ausgerechnet die Kirche jedem Trend hinterhereilen könnte, darauf muss man erst mal kommen. Das Argument ist im Kern aber nicht ganz falsch. Wer mit fortschreitendem Alter dem gerade Angesagten hinterherjagt, läuft tatsächlich Gefahr, sich lächerlich zu machen. Das lässt sich gut am Beispiel älterer Herren in Skinny-Jeans zeigen. Dabei hat die «Ehe für alle» viel mit besagter Hose gemein, denn beide sind weder neu noch ein aktueller Trend. Die Niederlande haben 2001 als erstes Land weltweit die «Ehe für alle» eingeführt, in den Jahren darauf folgten mehr als zwei Dutzend weitere Länder. Von einem Trend kann also keine Rede sein, wenn in dieser Frage die Schweiz und die Kirche zwanzig Jahre später ebenfalls nachziehen (selbst das erzkonservative Irland war früher dran). Die Befürchtung ist also völlig unbegründet, dass die Kirche mit der Zeit gehen könnte und dabei nahe bei den Menschen ist.
Homosexualität ist nicht in der Schöpfung angelegt.
Ein Argument, das ans Eingemachte geht, darum sei die Gegenfrage erlaubt: Angenommen, Homosexualität ist nicht in der Schöpfung angelegt und somit nicht von Gott gewollt – was ist sie dann? Eine Krankheit? Vom Teufel? Aus guten Gründen haben sich die Reformierten vom letzteren abgewandt.
Die «Ehe für alle» birgt die Gefahr einer Kirchenspaltung.
Das stimmt. Allerdings sind in der Kirchengeschichte theologische Diskussionen, die zu einer Abspaltung führten, eher die Regel als die Ausnahme. Das Filioque sorgte vor rund 960 Jahren dafür, dass es heute eine römisch-katholische Kirche und orthodoxe Kirchen gibt. Streitpunkt waren unterschiedliche Deutungen der Dreifaltigkeit. Die Mennoniten wiederum spalteten sich von den Amischen ab, weil sie keine Pferdekutschen mehr, dafür aber Autos und Elektrizität nutzen wollten. Man muss aber gar nicht in die Vergangenheit oder in die Ferne reisen. Es reicht, sich die Reformation in Erinnerung zu rufen. Wer sich nun doch ernsthaft vor einer Spaltung der Kirche fürchtet, der sollte sich, anstatt die «Ehe für alle» zu bekämpfen, sowieso besser der Frage zuwenden, wie eine Gemeinschaft mit Dissens umgeht. Bleibt der andere ein guter Christ, auch wenn er eine diametral andere Meinung hat? Denn Dispute, so heftig sie auch sein mögen, sind ein Zeichen von Entwicklung, Wachstum und Leben. Kommt es trotzdem zur Trennung, dann ist die Kirchengeschichte voll mit Wegen, die – wenn nicht nach Rom – doch an gute Orte führen.
Keine Heilige Schrift der Weltreligionen kennt die «Ehe für alle».
Die Idee einer kollektiven Alters- und Hinterbliebenenversicherung findet sich auch nirgends in den Heiligen Schriften, und trotzdem erwägt niemand, sie deshalb abzuschaffen.
Die Heilige Schrift lehnt Homosexualität ab.
Nein, denn dafür müsste in der Heiligen Schrift auch etwas über die Liebe zwischen zwei Frauen stehen, tut es aber nicht. Daraus ergeben sich folgende Überlegungen: Lesbische Liebe geht in Ordnung, da nichts dazu geschrieben steht, oder aber weibliche Sexualität kam in der patriarchalen Welt der Bibel schlicht nicht vor und fand darum auch nicht Eingang in die Schrift. Wer die «Ehe für alle» mit dem Argument ablehnt, dass die Heilige Schrift Homosexualität ablehnt, der muss spätestens jetzt ins Grübeln kommen.

Illustration Jannis Pätzold
Im Dezember 2020 hat das Parlament entschieden, dass lesbische und schwule Paare heiraten dürfen. Das eröffnet ihnen die Möglichkeit, Kinder zu adoptieren. Zudem wird lesbischen Paaren die Inanspruchnahme von Samenspenden in Schweizer Fortpflanzungskliniken erlaubt. Ein überparteiliches Komitee von Vertretern der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU), der SVP sowie einzelnen Politikern von EVP und Mitte hat dagegen das Referendum ergriffen. Für homosexuelle Paare bringt die Ehe neue Rechte. Das betrifft die Altersvorsorge, wo auch lesbische Ehefrauen künftig Anspruch erhalten auf eine Witwenrente. Weiter können ausländische Ehepartner in Zukunft erleichtert eingebürgert werden.
Die wichtigsten und umstrittensten neuen Rechte betreffen jedoch die Kinder: Schwule und lesbische Ehepaare werden sich neu als gemeinsame Adoptiveltern bewerben können. Schon heute leben mehrere Tausend Kinder bei zwei Vätern oder zwei Müttern, schätzen Fachleute. Oft bringt einer der Partner ein Kind aus einer früheren Beziehung mit. Diese Kinder dürfen seit vier Jahren von eingetragenen Partnern adoptiert werden. Für heterosexuelle Paare bleibt mit der Öffnung der Ehe alles beim Alten.
Der Dachverband der Freikirchen und die Schweizerische Bischofskonferenz lehnen die «Ehe für alle» ab. Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz befürwortet die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Am 26. September entscheidet das stimmberechtigte Volk über die Vorlage.
Nach der «Ehe für alle» ist vor der Vielehe.
Das ist möglich, aber eher unwahrscheinlich. Eine Gesellschaft müsste dafür einen Konsens in dieser Frage finden. Stimmiger ist vielmehr dieser Satz: Nach der Vielehe war vor der «Ehe für alle». In der Bibel lassen sich einige Geschichten finden, in denen Männer in einer Vielehe lebten.
Die Ehe schafft den Rahmen, dass jedes Kind einen Vater und eine Mutter hat.
Ausser der Vater trinkt und die Mutter schlägt. Richtig ist: Die Ehe kann den Rahmen für ein förderliches Elternhaus schaffen, Betonung auf «kann». Es ist allen Kindern zu wünschen, in geborgenen Verhältnissen aufzuwachsen. Wobei es keine Rolle spielt, in welchem biologischen Verhältnis die Menschen zu den Kindern stehen, die sie im Aufwachsen begleiten – und ob diese alleine oder in einer Partnerschaft leben oder Männer oder Frauen oder beides lieben. Das Nichtanerkennen von Diversität mit der Bibel in der Hand ist wohl eher der Versuch, persönliche Vorstellungen mit dem göttlichen Willen gleichzusetzen.
Pfarrerinnen, die die «Ehe für alle» ablehnen, geraten bei deren Annahme unter gesellschaftlichen Druck.
In diesem Fall kann darauf vertraut werden, dass heiratswillige Lesben- und Schwulenpaare wohl kaum auf einen Pfarrer setzen, der ihre Lebensform ablehnt. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es trotzdem solche gibt, sollte man als Pfarrerin hinstehen und sich öffentlich erklären. Stösst die eigene Person dabei auf Ablehnung, dann muss das ausgehalten werden. Homosexuelle haben viel Erfahrung darin und helfen gerne weiter.