Erik Flügge stört sich am sonntäglichen Kirchensprech. Und mancher Kirchenmensch stört sich an Erik Flügge. Dabei ist Flügges Forderung simpel: «Sprecht doch einfach über Gott, wie ihr beim Bier sprecht.» Mit seinem Appell rennt der Kommunikationsberater längst nicht nur bei Kirchenkritikern offene Türen ein. Auch von Pfarrern erhält der Bestseller Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt Zuspruch. Ich möchte Flügge gerne vorbehaltlos zustimmen. Als Vikar und Teil der Kirche kenne ich aber auch die andere Seite und weiss: Ganz so einfach ist das nicht.+
Manche Leser sind von Flügge begeistert, andere eher entgeistert. Zu Flügges Provokationen kann man sich irgendwie nicht nicht verhalten. Das Ziel des Autors ist damit erreicht: Man redet über die Sprache in der Kirche. Flügge versteht sein Buch als Beitrag, «damit künftig das Christentum nicht durch seinen grässlichen Kirchensprech die Chance auf Verkündigung verspielt». Dem Autor ist die Kirche wichtig, keine Frage.
Im Kern stimme ich Flügge zu. Ja, die Kirche hat ein Sprachproblem, und ja, dieses Problem sollte besser gestern als heute in Angriff genommen werden.
Von Flügges polemischem Stil kann man halten, was man will. Mir gefällt er nicht. Dumm nur, dass er notwendig ist, um Schwung in die Diskussion zu bringen. Denn wenn so mancher Kirchenfunktionär bei der Lektüre einen dicken Hals bekommt, ist das lediglich ein weiterer Beleg dafür, dass der Kirche eine bessere Feedbackkultur und etwas mehr Kritikfähigkeit gut zu Gesicht stünden. Denn eigentlich sagt Flügge nichts Neues. Er sagt es nur medienwirksamer.
Nicht, dass der Autor die Kirche kritisiert, stört mich, sondern vielmehr, wen er dafür ins Visier nimmt. Vieles bürdet er dem Pfarrpersonal auf. Das gefällt. Sind doch die abgehobenen Pfarrherren, die alles besser wissen und auch so predigen, in Ungnade gefallen. «Wo Gott hockt», das haben längst nicht mehr die Pfarrer zu bestimmen. Und jetzt kommt da einer, der dem selbstgefälligen Berufsstand auf die Finger haut und ihn an seine Aufgabe erinnert. Dabei steht der Pfarrberuf schon seit längerem auf dem Prüfstand. In vielen Landeskirchen stehen Umstrukturierungen an oder sind bereits im Gange. Pfarrstellen werden reduziert, andere ganz gestrichen.
Trotzdem leisten viele Pfarrer und Kirchenleute noch immer oder erst recht sehr gute Arbeit – nicht allein in sprachlicher Hinsicht. Den Herrn Pfarrer gibt es fast nur noch in den Köpfen seiner Kritiker. Dort aber treibt er weiterhin sein Unwesen. Sehr zum Nachteil realer Pfarrerinnen und Pfarrer.
In manchen privaten Gesprächen unterschlage ich meinen Beruf. Nicht aus Scham, sondern ganz einfach deshalb, weil ich mir die pauschalen Abkanzelungen, zu denen auch Flügge zuweilen tendiert, nicht anhören mag. Denn auch wenn das Ansehen des Pfarrberufs gelitten hat: die Erwartungen an ihn haben es nicht. Das wird auch bei Flügge deutlich, der von den Predigern vollen emotionalen Einsatz fordert.
Den Druck, Sonntag für Sonntag gute Predigten zu liefern, spüre ich selbst deutlich. Zu Beginn meines Studiums habe ich mir geschworen, eine verständliche Sprache zu behalten. Ein frommer Wunsch. Wer im akademischen Milieu auf gute Bewertungen angewiesen ist, knickt irgendwann ein. Ich bin eingeknickt. «Die Universität bildet Theologen aus, nicht Pfarrer.» Dieser Satz ist mir gleich mehrmals begegnet. Und nun, sechs Jahre später, soll ich quasi über Nacht meine Sprechgewohnheiten wieder anpassen.
Flügge hat gut reden, denn er kann gut reden. Regelmässige Sprechkurse im Studium und auch später, so wie er vorschlägt, wären hilfreich. Doch erst im Vikariat begegnet mir so etwas wie ein Sprechcoaching. Und auch wenn man vieles lernen kann, Redegewandtheit ist nicht jedem gegeben. Ich für meinen Teil bin oft froh, wenn ich mein Anliegen im Gespräch einigermassen verständlich formulieren kann. Bin ich deswegen für den Pfarrberuf ungeeignet?
Wenn ich Flügge lese, meine ich: ja. Nach ihm soll die Kirche anstelle ihrer egalitären Haltung danach suchen, «dem grössten Talent einen Raum zu bieten». Das «Streben nach Spitzenförderung» sei in der Kirche nicht verankert. Ich bin dankbar, dass das so ist. Eine «Kultur der Egalität» hat durchaus ihre Fehler, wie Flügge ganz richtig aufzeigt: «Alle müssen gleich sein, also im Zweifelsfall auch alle miserabel.» Dennoch ziehe ich die Egalität der Leistungskultur vor. Eine Leistungskultur honoriert allein die, die wissen, wie man sich in einer Ellenbogengesellschaft behauptet. Die anderen gehen unter. Das ist nicht meine Kirche. Und Flügges Vorschlag eines Predigtprüfers, der bei guter Leistung Gehaltsboni verteilt, halte ich für geradezu schädlich. Ich will keinen Pfarrer, der sich bloss Mühe gibt, weil er sich davon einen Bonus erhofft. Oder einen, der ob des ständigen Prüfungsdrucks zugrunde geht. Ich will keinen Wettkampfgeist in Pfarrteams, wenn ohnehin in vielen Kirchgemeinden Konflikte gären. Wenn wir angeblich berufene Menschen mit noch mehr Geld motivieren müssen, ist etwas faul in der Kirche. Flügge selbst beschreibt die Situation eines Priesters, der offenbar «besser» als andere predigt, was ihm von Kollegen negative Rückmeldungen einbringt. Ein Zuschuss für diesen Priester trüge wohl kaum zur Beruhigung der Situation bei.
Flügges Problemskizze, das «Verrecken der Kirche», wird sich mit ein paar kosmetischen Eingriffen an der Oberfläche kaum verhindern lassen. Arnd Bünker, Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts, sieht bei der Kirche denn auch mehr ein Relevanz- als ein Sprachproblem. Nach ihm kämpfen die Kirchen «gegen ihre weitgehende Bedeutungslosigkeit an». An der Einsicht, dass Volkskirchen mehr und mehr zu Minderheitenkirchen werden, führt kein Weg vorbei. Ich denke aber, dass wir Reformierten gerade beim Gottesdienst eine grosse Freiheit haben, die uns zugute kommt. Anders als andere Konfessionen sind wir nicht an eine mehr oder weniger starre Liturgie gebunden. Das gilt es zu nutzen.
Gefährdet ist diese Freiheit in der Realität allerdings durch eine Kirche, die in ihrem System festgefahren ist. Pfarrer müssen sich gegenüber vielen Instanzen und Menschen verantworten. Und sie sind von deren Wohlwollen abhängig. Nicht allein wegen eines guten Arbeitsklimas, sondern auch zur Sicherung der eigenen wirtschaftlichen Existenz.
Eine Feedbackkultur zur Predigt, wie Flügge sie beklagt, ist überfällig. Die Zeiten pfarramtlicher Einzelkämpfer, die sich nicht gerne von Kollegen in die Karten blicken lassen, sind vorbei. Die Kirche braucht aber mindestens genauso dringend eine Kommunikationskultur, die Konflikte und Fehler im System auf eine Weise auf den Tisch bringt, die annehmbar ist. Das aber kostet Geld, Zeit und eine gehörige Portion Offenheit gegen[1]über Andersdenkenden.
Ich möchte dem Autor in seinem Jargon zurufen: «Flügge, halt die Klappe!» Dann aber besinne ich mich, wie ich, der naturgemäss Debatten meidet, sie doch immens wichtig findet. Erst recht, wenn mich das Gegenüber und seine Aussagen so nerven wie bei Flügge.
Der Theologe und Journalist Tobias Zehnder absolviert seine Ausbildung zum Pfarrer in Utzenstorf BE. Er lebt in Bern.
Lesung und Diskussion mit Erik Flügge am Freitag, 14.Oktober um 19Uhr im Kulturpark Zürich, Pfingstweidstrasse 10, 8005 Zürich. Anmeldung: www.brefmagazin.ch