Herr Mori, Herr Thiriet, Herr Spengler, das Stimmvolk entscheidet am 4.März über die Abschaffung der Billag-Gebühr, die auch das Schweizer Radio und Fernsehen finanziert. Wird die Initiative angenommen, wäre mit grosser Wahrscheinlichkeit auch Schluss mit Sendungen wie dem Wort zum Sonntag oder den Radiopredigten. Der GAU für die kirchliche Kommunikation?
Mori Wir könnten tatsächlich vieles, was uns als Kirche wichtig ist, nicht mehr sehen oder hören. Gottesdienstübertragungen, aber auch Sendungen wie Sternstunde Religion gäbe es in dieser Form und in dieser Qualität mit Sicherheit nicht mehr. Der ganze Radio- und Fernsehbereich der Reformierten Medien (die auch das bref Magazin herausgeben, Anm. d. Red.) könnte zumachen, weil es auch die Redaktionen von Schweizer Radio und Fernsehen in dieser Form nicht mehr geben würde.
Herr Mori, wie sollen sich die reformierten Kirchen im Abstimmungskampf verhalten?
Mori Religion gehört zu jenen gesellschaftlich relevanten Bereichen, die die SRG abbildet. Deshalb plädiere ich dafür, als Kirche den Service Public selbstbewusst zu verteidigen. Wir sollten uns aber nicht auf die Debatte um die Institution SRG einlassen.
Warum nicht? Gerade die öffentlichrechtlichen Landeskirchen pflegen seit Jahrzehnten eine enge Partnerschaft mit der Institution SRG.
Mori Hinter das wirtschaftliche Verhalten der SRG kann man in Anbetracht der obligatorischen Gebühren mit guten Gründen Fragezeichen setzen. Zudem ist es in der heutigen Zeit naiv, wenn die SRG den Beromünster-Mythos beschwört und sich als Klammer stilisiert, die die Schweiz zusammenhält. Die SRG tut so, als ob Frau Sowieso in Delémont und Herr Sowieso in Bivio nur wegen ihr ein gemeinsames Heimatgefühl entwickeln könnten. Das ist anmassend.
Spengler Diese von der SRG kreierte «Idée Suisse» habe ich auch nie verstanden. Sie ist konstruiert und funktioniert nicht. Damit es klar ist: Natürlich bin auch ich gegen diese No-Billag Initiative. Sie ist nur schon aus politischen Gründen brandgefährlich. Aber ich finde die Diskussion darum herum auch ein bisschen merkwürdig. Eine konstruktive Debatte ist gar nicht mehr möglich. Entweder man ist dafür oder dagegen. Dabei ist eine gewisse Kritik an der SRG durchaus berechtigt.
Beispielsweise?
Spengler Warum soll man nicht ernsthaft darüber diskutieren, ob es im Tessin zwei Sender braucht, wenn dort alle Italiens öffentlichen Sender RAI 1 oder einen der vielen Privatsender schauen?
Oder darüber, warum es noch teure Gottesdienstübertragungen braucht? Böse Zungen behaupten, es wäre günstiger, anstatt einen katholischen Gottesdienst zu übertragen, den wenigen Zuschauern die geweihte Hostie per A-Post zukommen zu lassen.
Spengler Dafür muss man die Zusammenhänge kennen. Das SRG-Programm zu Religion im TV ist ein Spartenprogramm, das kaum wer schaut. Wir Kirchenleute finden es natürlich super und schauen uns gegenseitig bei unseren Auftritten zu, aber letztlich ist es ein Minipublikum. Jetzt ist Fernsehen aber sehr teuer und deshalb ist es für die SRG nicht uninteressant, die Randzeit am Sonntagmorgen mit soliden Inhalten zu bespielen. Gottesdienstübertragungen oder Radiopredigten kosten im Verhältnis sehr wenig.
Thiriet Die Kritik an der SRG ist alles andere als neu. Ich war von 1969 bis 1984 bei der SRG, also kurz nach dem Beromünster-Zeitalter. Bereits damals wurden wir öffentlich heftig kritisiert. Schlechtes Programm, zu links, zu abgehoben. Trotzdem entwickelten sich die Einschaltquoten gut. Die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Meinung und der Akzeptanz des Programms war immer sehr gross. Diese Tatsache stimmt mich zuversichtlich für die kommende Abstimmung. Ein Fragezeichen setze ich höchstens dahinter, ob es richtig ist, dass Unternehmen finanzielle Beiträge an öffentlichrechtlich subventionierte Medienanstalten wie die SRG aufwenden müssen. Eine Frage, die sich übrigens auch in manchen Kantonen stellt, wo die Unternehmenskirchensteuer noch erhoben wird.
Spengler Weil es das Stimmvolk so will. Gerade im Kanton Zürich wurde vor drei Jahren erneut an der Urne bestätigt, dass Landeskirchen weiterhin Steuergelder von Firmen erhalten sollen.
Aber warum sollen private Unternehmen Gottesdienstübertragungen finanzieren?
Spengler Ab 2019 müssen im Gegensatz zu heute nur noch Betriebe mit einem Umsatz von über einer halben Million Franken die SRG-Gebühr bezahlen. Die allermeisten Kleinbetriebe sind also von der Gebühr befreit. Aber die Frage ist doch eine andere: Muss in unserer Gesellschaft alles nach der Marktlogik funktionieren? Es braucht doch auch eine Verantwortungslogik. Ein Kulturauftrag, und dazu zähle ich die Religion, lässt sich nicht refinanzieren, ausser Sie zählen Sendungen wie Der Bachelor ebenfalls zur Kultur. Hätten wir nur noch Angebote, die sich vom Markt finanzieren lassen, wäre das eine extreme Verarmung der Gesellschaft.
Mori Das ist auch eine kirchliche Begründung, warum die Initiative abzulehnen ist: Wohin steuern wir, wenn eine Gesellschaft nur das finanziert, was kostentragend ist?
Spengler Als Kirche sollten wir diesen Aspekt hervorheben und nicht nur unsere Sendungen wie das Wort zum Sonntag, mit der die Zeit zwischen der Tagesschau und Happy Day überbrückt wird, verteidigen.

Nicolas Mori
Herr Spengler, die Reformierten diskutieren darüber, ein bischofsähnliches Amt einzuführen. Dahinter steht der Wunsch, als Reformierte mit einer einzigen Stimme auftreten zu können. Ist das aus Ihrer Sicht eine gute Idee?
Spengler Der Bischofshut alleine rettet die Reformierten nicht. Er kann bei dogmatischen Gesprächen mit anderen Konfessions- und Religionsvertretern Vorteile haben, aber sonst? Für die Medienarbeit sehe ich keine automatischen Vorteile. Das beste Aushängeschild der Reformierten ist doch Pfarrer Sieber. Was ich damit sagen will: Es braucht keine Personen, die mit einem violetten Käppchen und einem grossen Kreuz auf der Brust durch die Gegend wandern, um erfolgreiche Medienarbeit zu leisten. Vielmehr braucht es einen glaubwürdigen Kopf, der kommunizieren kann und mag.
Mori Die Sichtbarkeit ist wichtig, um medial eine Wirkung zu entfalten. Da haben es die Katholiken mit all den Gewändern sicherlich einfacher. Darum begrüsse ich es als Mediensprecher, wenn in der Zeitung eine Pfarrerin den Talar trägt.
Spengler Das Bischofsamt repräsentiert eine Struktur und Hierarchie. Es ist eigentlich das Gegenteil von dem, wofür eine charismatische Persönlichkeit steht. Charismatiker in der katholischen Kirche sind eher ausserhalb der Hierarchie zu finden. Eine starke Figur funktioniert medial unabhängig vom Klerus.
Aufgewachsen in Bern und in Zollikon bei Zürich, studierte Nicolas Mori (56) Philosophie, Religionswissenschaft und Psychologie an der Universität Zürich und an der FU Berlin. Danach arbeitete er als freier Journalist, vorab im Bereich Religion, und in einem Pressebüro mit den Schwerpunkten Radio- und Fernsehkritik, Medienpolitik und Informatik. Ab 1995 war er als Informationsbeauftragter für die Reformierte Landeskirche des Kantons Zürich tätig. Seit 2000 leitet er dort die Abteilung Kommunikation. Mori ist verheiratet, Vater zweier erwachsener Kinder und lebt in Ebertswil ZH. dem
Können Sie Namen nennen?
Spengler Beispielsweise Ottmar Hitzfeld. Ernsthaft: Monika Schmid ist eine einfache Pfarreibeauftragte, und ihre Stimme wird in der Öffentlichkeit gehört. Sie gewann den Prix Courage, auch der Spiegel zeigte sie mitsamt Bild und Botschaft. Oder die Dominikanerin Ingrid Grave, auch als «TV-Nonne» bekannt. Sie gilt als klare Vertreterin der katholischen Kirche – und trotzdem äussert sie pointiert ihre Kritik an der Kirche.
Herr Thiriet, was halten Sie von der Idee eines reformierten Bischofs?
Thiriet Ich habe ja zehn Jahre die Öffentlichkeitsarbeit für den Stadtbasler Kirchenratspräsidenten gemacht, der als Promotor dieser Idee bekannt war. «My Master’s Voice» war ganz nach meinem Geschmack, denn für einen Medienverantwortlichen ist es attraktiver, wenn er sich auf eine schlagkräftige nationale Organisation mit entsprechenden Leuchttürmen – personell wie inhaltlich – stützen kann. Selbstbewusst mit einer Stimme zu kommunizieren ist schwierig bei 26 autonomen Kantonalkirchen.
Spengler Provokativ zurückgefragt: Warum werdet ihr nicht gleich katholisch? Wenn ihr zurückkehrt, dann habt ihr die Bischöfe.
Thiriet Das ist jetzt ein bisschen gar simpel.
Mori Die Liste der Gründe, die gegen einen Konfessionswechsel sprechen, ist lang. Aber falls du ein schlagendes Argument dagegen benötigst: Für Reformierte ist eine Kirche ohne Frauenordination undenkbar.
Spengler Lasst uns doch einmal ein konkretes Szenario am Beispiel von Zürich durchspielen. Wer könnte da ein Bischofsamt bekleiden? Der Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist? Oder der Kirchenratspräsident Michel Müller? Oder die aus dem Fernsehen bekannte Pfarrerin Sibylle Forrer?
Mori Abgesehen davon, dass ja nicht in den Kantonen eine bischofsähnliche Figur geschaffen werden soll, zeigt dein Namenskarussell gut, was für Auswirkungen die Besetzung eines solchen Amtes hat: Die Person, die das Amt innehat, steht dann für die Reformierten. Klar würde ich es begrüssen, wenn wir mehr medial versierte Persönlichkeiten in unseren Reihen hätten. Das Problem liegt meiner Ansicht nach aber an einem anderen Ort. Die Kirche hat ein Terminologie- und Sprachproblem.
Inwiefern?
Mori Peter Sloterdijk hat einmal gesagt, der Begriff Kirche lasse sich kommunikativ nicht mehr retten. Die kirchlich distanzierte Öffentlichkeit verbinde Kirche mit zu vielen Klischees. Diakonie und Mission versteht heute niemand mehr, der Kirchensprech ist wahnsinnig schwierig zu vermitteln. Darum bin ich nicht so sicher, ob es ein geschickter Schachzug wäre, wenn wir im 21. Jahrhundert wieder ein Amt einführen, das «Bischof» heisst.
Die Kirchen finanzieren mit Kirchenbote, reformiert. oder auch dem Magazin bref journalistische Produkte. Im Redaktionsalltag fällt aber auf, wie wenig Sensibilität in den Kirchen für eine unabhängige Publizistik vorhanden ist.
Mori Die Schwierigkeit von euch Journalistinnen und Journalisten in der Kirche ist, dass ihr bei der Berichterstattung auf Unabhängigkeit pocht, ihr aber alles andere als unabhängig seid. Die Gelder stammen von der Kirche, über die ihr auch kritisch berichten solltet. Das ist ein Dilemma.
Thiriet Die Kirchenpublizistik ist ein Zwitter aus Kommunikation und Journalismus. Das ist beim Kirchenboten so, beim reformiert. und auch bei bref: Ihr solltet einer Institution einen kritischen Spiegel vorhalten, die euch zugleich nährt.
Mori Die Kirchen erwarten halt eine gewisse Loyalität von ihren Journalisten gegenüber der Institution. Man geht davon aus, dass alle im gleichen Boot sitzen, was natürlich die DNA eines jeden guten Journalisten tangiert. Dieser will und muss Missstände aufzeigen, wofür er möglichst unabhängig sein muss.
Spengler Grundvoraussetzung, um als Journalist in der Kirche zu arbeiten, ist eine kritische Solidarität zur Kirche. Dass man dabei auch selbst kritisiert wird, ist ein gutes Zeichen. Journalismus ist a priori immer hinterfragend und deshalb auch in der Kirche genauso unbeliebt wie in der Politik oder in der Wirtschaft. Ich war zehn Jahre Journalist im Bundehaus und musste mir ständig anhören, was wir falsch machten und warum der von uns gesetzte Akzent falsch sei. Das auszuhalten gehört zum Profil jedes Journalisten. Was mir aber auffällt: In der Kirche sind die Protagonisten dünnhäutiger und unprofessioneller, was die Medienkompetenz anbelangt.
Woran machen Sie das fest?
Spengler Sie haben Angst, sich in der Öffentlichkeit zu äussern, und streiten um jeden Punkt und jedes Komma, wenn sie mal ein Zitat gegenlesen sollen. Verfasst eine kirchliche Publikation einen kritischen Artikel, ist der Ärger noch ein bisschen grösser und die Betroffenheit sitzt noch ein bisschen tiefer. Rasch wird die mangelnde Loyalität beklagt. Insgesamt ist man wehleidiger. Lust an der Debatte bringen die wenigsten Kirchen-protagonisten mit.
Thiriet Das eigentliche Problem ist doch, dass weltliche Medien wie der Tages-Anzeiger oder die Neue Zürcher Zeitung den Kirchen nicht mehr den Spiegel vorhalten. So wie die Weltwoche den Linken den Spiegel vorhält oder der Tages-Anzeiger der SVP.
Warum ist das so?
Thiriet In die weltlichen Medien kommt die Kirche, wenn es Streit in einer Kirchgemeinde gibt oder wenn eine Kirche besetzt wird. Getreu dem Motto: Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Es ist aber auch das Resultat davon, dass sich Redaktionen ausserhalb der SRG kaum mehr fachlich versierte Journalisten leisten, welche die Kirchen fundiert und notfalls auch hart kritisieren können. Ist der Journalist Michael Meier vom Tages-Anzeiger in einigen Jahren weg, wird die Zeitung kaum mehr über die Kompetenz verfügen, um in dieser Kontinuität über kirchliche Themen zu berichten. Bei der Neuen Zürcher Zeitung ist das gleiche zu beobachten. Jüngere Journalisten wissen oftmals nicht mal, was an Weihnachten gefeiert wird.
Spengler Der Rückgang von qualifizierten Medienschaffenden betrifft nicht nur die Kirche. Auch die Politiker im Bundeshaus klagen darüber. Altgediente Bundeshausjournalisten, die den parlamentarischen Prozess kennen und Dinge einordnen können, sind rar geworden. Heute sind es meist junge, schlecht bezahlte Leute, die permanent unter Zeitdruck stehen. Die werden vom Chefredaktor mit drei Stichworten hingeschickt, und dann müssen sie ein Video für Online und einen Text für Print liefern. Für die Kommunikation sind das goldige Zeiten. Für ein finanziell potentes Unternehmen war es noch nie so einfach, Einfluss auf Zeitungsseiten zu nehmen.
Mori In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat das Wissen um Religion in der Gesellschaft abgenommen. Bei uns sind schon Leute wegen des Bischofs von Chur ausgetreten. Journalisten sind nur ein Abbild dieser Entwicklung. Vor zehn Jahren erreichten mich noch viel mehr Medienanfragen entlang dem Kirchenjahr. Jetzt interessieren Glockenstreit und Gemeindekonflikte. Wobei man gerechterweise auch sagen muss, dass sich beispielsweise rund ums Reformationsjubiläum etliche Redaktionen ins Zeug legen. Was mir aber auch auffällt: Die weltlichen Journalisten versuchen teils kirchlicher zu sein als ihre Kollegen, die bei kirchlichen Medien arbeiten.
Es ist eine ungewöhnliche Situation, dass die Kirche als öffentlichrechtliche Institution mit eigenfinanzierten Mitteln über sich selbst berichten muss.
Roger Thiriet
Wie äussert sich das?
Mori Die Sprache ist klischeedurchsetzt. Es wird von Schäfchen, Gläubigen und natürlich auch vom Hirten gesprochen. Insgesamt antiquiert, als wäre Kirche heute noch so wie in den fünfziger Jahren. Mich erinnert das an Erzählungen älterer Generationen über ihre Schulzeit, Setzkasten und Schiefertafel inklusive.
An vielen Orten ist die Kirche tatsächlich noch so wie damals.
Mori Natürlich lässt sich auch heute noch mancherorts die Kirche von früher finden. Aber gerade im urbanen Umfeld hat sich viel verändert. Und zwar so, wie sich das viele Journalisten gar nicht vorstellen können.
Fassen wir zusammen: Die weltlichen Journalisten haben kaum noch Ahnung von Kirche und Religion.
Thiriet Trotzdem ist es weder die Aufgabe der Kirchenpublizistik noch die der kirchlichen Kommunikation, diese Lücke zu füllen. Sie sollen einzig die innerkirchliche Kommunikation sicherstellen, so wie das ein Mitarbeitermagazin des Universitätsspitals Basel auch tut. Das Spital und seine Hochschulmedizin werden von den weltlichen Medien regelmässig gelobt und kritisiert, hier nehmen die Medien ihre Wächterfunktion noch wahr. Bei den Kirchen tun sie es nicht mehr.
Wenn kirchliche Medien handwerklich sauberen Journalismus bieten, dann ist das für Kirchen als Geldgeber ein grosser Gewinn.
Simon Spengler
Mori Für die Mitarbeiterkommunikation haben wir innerkirchliche Publikationen wie das Notabene in Zürich oder das ensemble in Bern. Was wir nicht vergessen dürfen: Als Landeskirche haben wir auch eine Rechenschaftspflicht gegenüber Staat und Öffentlichkeit, was wir mit den Kostenbeiträgen und Steuergeldern alles leisten.
Kirchliche Publikationen wie bref oder reformiert. können mit ihrer Berichterstattung dazu beitragen, den Eisberg Kirche ein bisschen anzuheben, um einen grösseren Teil sichtbar zu machen.
Thiriet Aber es ist doch eine ungewöhnliche Situation, dass die Kirche als öffentlichrechtliche Institution mit eigenfinanzierten Mitteln über sich selbst berichten muss. Stellen wir uns mal vor, die Bundesverwaltung gibt eine Zeitung heraus, in der die Migrationspolitik von Frau Sommaruga direkt oder kontradiktorisch abhandelt wird. Das ist undenkbar.

Simon Spengler
Dafür sind die Herausgeber von reformiert. und bref rechtlich gesehen unabhängige Vereine, die von den Kirchen finanziert werden. Warum sollten sie also nicht heikle Fragen wie jene nach einem Bischofsamt thematisieren?
Thiriet Gegenfrage: Warum recherchiert solch eine Geschichte nicht Das Magazin vom Tages-Anzeiger oder ein NZZ Folio? Wieso interessiert dieses Thema auf diesen Redaktionen niemanden? Warum muss das ein Magazin wie bref machen, das von den reformierten Kirchen bezahlt wird?
Spengler Aber warum sollte sich meine Schwiegermutter dafür interessieren, ob die Reformierten nun ein Bischofsamt einführen oder nicht und welche verschiedenen theologischen Meinungen es dazu gibt? Das ist ihr mit grosser Wahrscheinlichkeit egal, selbst wenn sie reformiert wäre. Es ist einfach kein Thema für eine breite Öffentlichkeit – und gerade deshalb braucht es kirchliche Publizistik. Es reicht heute nicht mehr, dass eine katholische oder reformierte Nachrichtenagentur die weltlichen Medien mit Artikeln beliefert, und diese sollen dann bitteschön abgedruckt werden. Wenn kirchliche Medien handwerklich sauberen Journalismus bieten, dann ist das für Kirchen als Geldgeber ein grosser Gewinn.
Simon Spengler (55) wuchs im deutschen Rheinland bei Koblenz auf. Er lebte vier Jahre als Mönch in den Zisterzienserklöstern Langwaden (D) und Hauterive (FR). Anschliessend studierte er katholische Theologie an der Universität Freiburg i.Ue. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Bevor er 2010 Sprecher der Schweizer Bischofskonferenz wurde, war er zehn Jahre Journalist bei der Blick-Gruppe. Seit 2015 leitet er die Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Spengler lebt in Schmitten FR. dem
Mori Wir müssen tatsächlich neue und auch überraschendere Wege finden, um zu kommunizieren. Mit Verlaub, das bref kommt zwar tatsächlich anders und auch gut daher, aber rein quantitativ bewegt sich das Magazin mit einigen Tausend Abonnenten in der Kirchenblase. Entscheidend ist die Frage, mit welcher Konsequenz sich eine kirchliche Publikation an eine Zielgruppe wendet. Wird über Strukturreformen, Synodalwahlen und Kirchenordnungen berichtet, wie das auch das bref teilweise tut oder tun muss, weil es die Erwartungshaltung der Geldgeber ist, dann ist das Magazin bereits für viele Leserinnen und Leser unattraktiv. Das zeigt auch dieses Interview: Das Thema, worüber wir gerade diskutieren, interessiert eine kirchlich distanzierte Person wohl kaum. Wir müssen mehr Mut haben, nicht nur zu bewahren, sondern neu zu denken. Beispielsweise Gottesbilder, und neue Vermittlungsformen breiter einsetzen. Nur so finden wir aus der Kirchenblase heraus. Kirche muss überraschen, dann wird sie auch gehört.
Spengler Auch wenn bref keine Riesenauflage hat, so erreicht es als Bezahlmagazin durchaus eine stattliche Anzahl Meinungsträger und Leute, die am Rand der Kirche vagabundieren und der Institution trotzdem irgendwie wohlgesinnt sind. Es ist illusorisch, dass ein solches Magazin die grosse Masse erreicht. Das schafft, abgesehen von den Mitgliederzeitungen, die allen Mitgliedern kostenlos und ungefragt zugestellt werden, auch sonst keine kirchliche Publikation. Wenn wir die breite Bevölkerung erreichen wollen, müssen wir uns in die säkularen Medien trauen.

Roger Thiriet
So wie der Bischof von Chur, der es im Wochentakt in den redaktionellen Teil des Blicks schafft?
Spengler Es ist tatsächlich beeindruckend, wie viel Platz die Blick-Redaktion Geschichten einräumt, die direkt aus dem Bischofssitz in Chur eingeflüstert werden. Man kann Bischof Huonder mögen oder nicht, aber es zeugt auch von Mut, dass er seinen Kommunikationsleuten alle Freiheit einräumt, um mit viel Kalkül Geschichten zu platzieren. Diese sind zwar meist grotesk, machen aber das spezielle Weltbild des Churer Bischofs einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Blick erreicht auch heute – Internet sei Dank – noch immer sehr viele Menschen. Aus Kommunikationssicht ist das toll. Und das beste: Selbst die noble Neue Zürcher Zeitung hat schon solche Blick-Geschichten aufgenommen und etwas eigenes dazu publiziert.
Mori Gerade das Beispiel Chur kann unmöglich Vorbild sein, wie man in die säkularen Medien kommt. Der Preis, den man mit dieser Art von Kommunikation zahlt, ist hoch. Für einen Grossteil der Menschen ist das bestenfalls unterhaltsam, mit Sicherheit aber unglaubwürdig. Gezielt Empörung wecken mittels Personalisierung und Skandalisierung, diese Art lehnt die Mehrheit der Kirchenmitglieder ab.
Spengler Ich meinte nicht, dass man es auf die gleiche provokative Art und Weise machen soll. Aber mit dem richtigen Kopf und einem gehaltvolleren Inhalt schafft man es sehr wohl, in die säkularen Medien zu kommen. Das zeigt der Wiedereintritt von Adolf Muschg in die reformierte Kirche: Der Tages-Anzeiger und selbst Blick trafen sich mit dem Schriftsteller und publizierten danach substanzielle Beiträge, die alle von den Inhalten der reformierten Kirche handelten. Besser geht es fast nicht.
Sie kommunizierten oder kommunizieren alle drei im Auftrag der Kirche. Was unterscheidet einen Mediensprecher der Kirche von jenem eines Logistikunternehmens?
Mori Handwerklich gibt es keinen Unterschied. Die Telefonanlage im Logistikunternehmen ist die gleiche wie in der Kirche, bei den Katholiken wird diese vielleicht noch gesegnet. Aber ernsthaft, ein Hauptunterschied ist sicher, dass an uns als Kirche ein anderer Anspruch gestellt wird, was die Glaubwürdigkeit anbelangt. Wir können keine marktschreierische Sprache verwenden, wie dies etwa ein Modelabel oder ein Rasierwasser tut. Das würde von der Öffentlichkeit nicht goutiert.
Thiriet Vorweg: Ich war nie in der Unternehmenskommunikation tätig. Erst in Gesprächen mit Kollegen aus der Privatwirtschaft habe ich bemerkt, wie aufwendig und breit abgestützt in öffentlichrechtlichen Institutionen wie der Kirche die Meinungsbildungsprozesse sind, bis eine Medienmitteilung verschickt werden kann. Bei Swiss oder bei der Novartis weiss der Sprecher, von wem er die Botschaft erhält, die es dann zu kommunizieren gilt.
Roger Thiriet (68) wuchs in Basel auf und studierte Anglistik, Romanistik und Geschichte an der Universität Basel. Seine Medienkarriere startete er Ende der sechziger Jahre bei Schweizer Radio DRS, wo er unter anderem das Wunschkonzert moderierte. Später war Thiriet Leiter Moderation und Musik bei Radio Basilisk, Programmleiter beim Volksmusiksender Radio Eviva und Autor der TV-Comedy Café Bâle. Bis zu seiner Pensionierung vor einem Jahr war Thiriet zehn Jahre als Beauftragter für Information und Medien der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt tätig. Er ist Vater von zwei erwachsenen Kindern und lebt in Basel. dem
Mori Es ist in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen sicher einfacher, mit einer Stimme zu kommunizieren. Die Möglichkeit zur Mitsprache bei den Reformierten, von der Kirchgemeinde über die Kantone bis zum gesamtschweizerischen Kirchenbund, ist sicherlich eine grosse Errungenschaft. Ich möchte sie nicht missen. Aus Kommunikationssicht ist sie aber immer wieder eine Herausforderung.
Da haben Sie es einfacher, Herr Spengler. Als Katholik und Sprecher der katholischen Kirche im Kanton Zürich muss Ihnen das Top-down-Prinzip vertraut sein.
Spengler Es ist ein Klischee, dass die Kommunikation bei uns schön hierarchisch von oben nach unten erfolgt. Vielleicht entspricht das dem Wunschdenken gewisser Bischöfe; in der Praxis funktioniert das überhaupt nicht. Unter uns gesagt ist die katholische Kirche ein völlig anarchischer Haufen. Jeder macht das, was er für richtig hält. Das sind schon fast reformierte Zustände [lacht]. Wer aber zu den Grundzügen der katholischen Kirche Ja sagen kann, erhält als ihr Mediensprecher viel Freiheit, auch wenn das überraschend klingen mag.
Zu welchen Grundzügen sollte man als Katholik Ja sagen können?
Spengler Dass wir eine universale Kirche sind, was auch an eine gewisse soziale Verantwortung gekoppelt ist. Schliesslich steht der ganze Apparat in Rom für den Anspruch, eine vielfältige Weltkirche zu sein; davon zeugen nur schon die ganz unterschiedlichen Ausrichtungen der Ordensgemeinschaften.
Jedes Mitglied ist vollwertig, unabhängig davon, wie oft es auf der Kirchenbank oder im Kirchenkaffee Platz nimmt.
Nicolas Mori
Man muss die Theatralik der Bischöfe und des Papstes nicht mögen, aber im Grundsatz mit der weltumspannenden Struktur einverstanden sein.
Das klingt irgendwie anstrengend.
Spengler Ich empfinde das – auch als Sprecher dieser Kirche – alles andere als anstrengend, sondern sehr befreiend.
Ist das jetzt die geschickte Antwort eines katholischen Mediensprechers oder eine ehrliche Meinung?
Spengler Das ist meine ehrliche Meinung. Natürlich existieren zahlreiche ungelöste Widersprüche in der katholischen Kirche, die es irgendwie auszuhalten gilt. Aber es ist möglich, ich bin ja das beste Beispiel dafür. Und in gewissen Momenten hilft auch Humor.
Herr Mori, von Jahr zu Jahr verlieren die reformierten Kirchen Mitglieder; zeitgleich werden in der Kirche die Stimmen immer lauter, die endlich ein klares Profil fordern.
Mori Die Diskussion darüber, wohin die reformierte Kirche steuern soll, ist im vollen Gange. Solch ein Prozess benötigt aber Zeit, gerade wenn viele mitreden. Worin ich mir jedoch sicher bin: Von der Vision, beziehungsweise Illusion «Eine Stimme, eine Zielgruppe, ein Profil» müssen wir uns verabschieden. «One size fits all», also eine Grösse für alle, das ist vorbei.
Warum sind Sie sich da so sicher?
Mori Für eine klassische Volkskirche ist die Gesellschaft heute zu sehr zersplittert, das belegen zahlreiche Studien. Zu glauben, dass einzig ein frommes Profil uns retten wird, ist falsch. Die Kirche hat viel mehr Mitglieder, als sie meint.
Warum sollten sich die Kirchen auf die distanzierten Mitglieder ausrichten? Am Ende gestalten doch jene Menschen die Kirche, die vor Ort wirken.
Mori Das ist so. Trotzdem habe ich Mühe damit, wenn engagierte Kirchenmitglieder gegenüber abwesenden Mitgliedern mit Beleidigtsein reagieren, wenn diese das Angebot nicht nutzen. Mit dem Zahlen der Kirchensteuer tragen alle solidarisch die diakonischen Dienste mit. Jedes Mitglied ist vollwertig, unabhängig davon, wie oft es auf der Kirchenbank oder im Kirchenkaffee Platz nimmt. Diese Erkenntnis bedeutet aber auch, dass es unmöglich ist, ein einziges Profil für die gesamte reformierte Gemeinschaft zu definieren. Dieser Realität wollen wir beispielsweise mit dem Projekt «Lebenslang Mitglied bleiben» Rechnung tragen. Unsere Haltung dabei ist, dass alle Kirchenmitglieder zur Grundintention der Kirche Ja sagen, die einzelnen Mitglieder aber im Laufe ihres Lebens sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben, sei es religiös oder sozial. Distanzierte Mitglieder sollen wissen, dass wir sie als Mitglieder schätzen und wir für sie da sind – sollten sie das wünschen.
Reformierte Kirchenvertreter interessieren sich seit einigen Jahren stark dafür, wie charismatische Gruppen und Freikirchen es schaffen, Menschen für den Glauben zu begeistern. Distanzierte Kirchenmitglieder sind aber oft befremdet von den absoluten Aussagen und dem Glaubenseifer solcher Kirchen. Wie passt das zusammen?
Mori Unser Interesse gilt den anderen Ausdrucksformen. Gerade distanzierte Mitglieder interessieren sich oftmals nicht für den traditionellen Gottesdienst am Sonntagmorgen. Da sind neue Formate gefragt. Von der Art und Weise, wie charismatische Gruppen teils den Glauben vermitteln, grenzen wir uns aber klar ab. Kirchgemeinden im Kanton Zürich, die stark von Freikirchen beeinflusst werden, sagen wir offen, dass sie allen Mitgliedern gegenüber eine Verpflichtung haben.
Thiriet Die Frage, wie sich die frei- und landeskirchlichen Strömungen in der Kirche nach aussen kommunizieren lassen, empfand ich während meiner Zeit als Informationsbeauftragter spannend. In Basel-Stadt hatten wir den Fall, dass sich eine Gemeinde der Kantonalkirche erfolgreich evangelikal ausrichtete und damit grossen Erfolg hatte. Dafür musste sie aber immer wieder die Gottesdienstordnung zumindest ritzen, was beide Seiten zu einer Gratwanderung zwang. Der Kirchenrat musste sich fragen: Soll man das Abweichen zugunsten voller Kirchenbänke zulassen? Die Gemeinde wiederum stand vor der Entscheidung, ob sie den Aufstand wagen, dafür aber den Ausschluss aus der Landeskirche risikieren sollte – inklusive Verlust der Steuergelder. Mein Eindruck als Kommunikationsverantwortlicher war, dass diese Auseinandersetzung den Auftritt der Kirche insgesamt stärkte. Die Tatsache, dass da unter einem Dach zwei Parteien über die Architektur ihres Hauses streiten, wurde als Zeichen der Lebendigkeit wahrgenommen.
Spengler Das neidvolle Schielen auf charismatische Gruppen seitens der Kirchenvertreter gibt es auch bei uns Katholiken. Meist sind es Jugendgruppen. Ihre Mitglieder sind völlig individualisiert, das Unpolitischsein gehört zum Programm. Fragen wie das Frauenpriestertum interessieren sie nicht. Viel wichtiger ist ihnen, dass die Kirche so bleibt, wie sie ist. Bischöfe und der Papst stehen dafür hoch im Kurs. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Jugendlichen sind diese Gruppen jedoch unbedeutend klein. Reisen dann aber 300 Jugendliche an ein Weltjugendtreffen, um dem Papst zuzujubeln, reisen gleich 6 Bischöfe mit. Wenn der katholische Kinder- und Jugendverband Jubla landesweit Sommerlager mit 30 000 Teilnehmern organisiert, ist kein Bischof mit von der Partie.
Was heisst das?
Spengler Dass die Erweckten und Bekehrten eh begeistert sind, sie kommen so oder so. Aber was ist mit dem grossen Rest? Wie kommen wir mit den zweifelnden und nicht von vorneherein interessierten Menschen in Kontakt? Wenn es die Kirche ernst meint, dann muss sie ohne Erwartungshaltung auch dorthin gehen, wo die Leute sie nicht mit Jubel empfangen. Ohne aufdringlich zu sein, mit diesen Menschen kommunizieren, das wird in Zukunft die Aufgabe der Kirche sein.
Oliver Demont ist Redaktionsleiter bei bref.
Der Fotograf Michel Gilgen lebt in Zürich.