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Bilder: Erol Gurian
Freitag, 07. Dezember 2018

Ilse Sixt wohnt in Oberpframmern, 2000 Einwohner, Gemeinde Ebersberg, 30 Kilometer südlich von München; wenn sie Besuch bekommt, dann von einem Fuchs, der sich an den Waldrand gewagt hat, oder einem Nachbarn, der einen Eimer Kirschen vorbeibringt. Umso irritierter ist ihr Sohn, als am 29. Februar 2012 ein südländisch aussehender Mann im schwarzen Mantel vor der Tür steht.

«Wohnt hier Frau Ilse Sixt?», fragt er auf englisch mit italienischem Akzent.

«Ja», sagt Bernhard Sixt, «ich bin ihr Sohn.»

«Geben Sie ihr diesen Brief», sagt der Fremde, drückt ihm ein blaues Couvert in die Hand und fährt davon.

Was war das? Ein Erpresser? Die Mafia? Ein Missverständnis? Bernhard Sixt ist durcheinander, auch besorgt. Seine Mutter schreibt doch ständig diese E-Mails und Briefe. War sie diesmal zu weit gegangen? Hatte sie jemanden verärgert? Als seine Mutter das Couvert öffnet, Absender Castel Gandolfo, kommt ein zusammengefaltetes Blatt Papier zum Vorschein, verschlossen mit einem roten Lacksiegel. Ilse Sixt bricht es auf und liest:

Liebe Ilse,
dein Bemühen um die Priester ist mir schon oft zu Ohren gekommen, als Mensch und Landsmann kann ich dir nicht offiziell danken. Bewahre meine Worte in deinem Herzen und verbrenne den Brief. Ich verlass mich auf dich, Benedikt

Ilse Sixt sitzt auf ihrer hölzernen Eckbank, als sie diese Geschichte sechs Jahre später, im Sommer des Jahres 2018, erzählt. An der Wand gegenüber hängen ein hölzernes Kreuz und Bierkrüge aus Zinn, daneben eine Pinnwand mit Fotos von den Enkeln und Urenkeln. Sie trägt eine hochgeschlossene Bluse, drüber ein Strickjäckchen mit goldenen Knöpfen. Auf dem Tisch stehen eine Flasche Wasser und zwei Gläser; sie ist vorbereitet, wenn schon mal jemand von der Zeitung vorbeischaut, auch ehrfürchtig und ein bisschen geheimnistuerisch; auf der anderen Seite, jetzt, wo er nicht mehr Papst sei, könne sie es ja herzeigen, huscht in die Küche, kommt lächelnd zurück, in der Hand ein Tütchen, aus dem sie das blutrote Siegel fingert.

Den Brief hat sie kopiert und verbrannt, aber das Siegel hat sie mit Tesafilm geklebt und wie eine Reliquie aufbewahrt: «Servus ser vorum Dei» steht darauf, Knecht der Knechte Gottes, so darf sich nur das Oberhaupt der katholischen Kirche nennen. «Danach», sagt sie, «hatte ich noch mehr Eifer.» Aber kann das wirklich sein? Ein Brief von Papst Benedikt XVI.? Ein Dankeschön, das die tausend Kilometer von Castel Gandolfo über die Gipfel der Alpen bis nach Oberpframmern zurückgelegt hat?

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