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Autorin: Hanna Jacobs
Illustration: Anna Parini
Freitag, 24. Januar 2020

Es ist, beinah en passant, eine neue Religion entstanden: Achtsamkeit. Ihre heiligen Schriften sind die Beiträge in hochglänzenden Frauenmagazinen, etwa dem Magazin «Flow», der «Zeitschrift ohne Eile, über kleines Glück und das einfache Leben». Oder die kleinen Ratgeberbücher mit den leeren Seiten zum Selbstausfüllen. «Zehn Minuten am Tag für weniger Stress und mehr Gelassenheit».

Nicht zu vergessen die zahlreichen Podcasts wie «mymonk», «7mind» oder «Heiliger Bimbam »; auch sie wollen uns lehren, innezuhalten. Wer erlernen möchte, achtsam zu leben, den Moment bewusst wahrzunehmen, der wird momentan in jeder Bahnhofsbuchhandlung fündig; wer nicht mehr in Buchhandlungen geht, findet dazu online Rat. Denn die Propheten der Achtsamkeitsreligion schaffen spielend, was den christlichen Grosskirchen immer noch schwerfällt: die spirituellen Bedürfnisse postmoderner Menschen zu erkennen und ein attraktives, vor allem ein digitales Angebot zu schaffen, das auf diese Nachfrage reagiert.

Ironischerweise versprechen ausgerechnet Apps, Videos und Onlinekurse, die Menschheit von den Problemen zu erlösen, die sie vor der Digitalisierung noch nicht hatte: scheinbar grenzenlose Beschleunigung, Erfahrungen von Entfremdung und Überreizung.

Dabei lehrt die Achtsamkeitsbewegung einfach nur vieles, was früher selbstverständlich war. Sei im Moment. Sei nicht dort, wo du nicht bist. Klartext: Wenn du bügelst, bügle. Wenn du isst, iss. Wenn du schreibst, schreib. Und guck währenddessen nicht alle paar Minuten auf deinem Smartphone, ob möglicherweise völlig unwichtige Mails oder Nachrichten eingegangen sind. Die Fokussierung, die uns durch die ständige Verfügbarkeit von neuen Informationen abhanden gekommen ist, können wir durch Achtsamkeit wiedererlangen, so das Versprechen. Geradezu absurd, dass gerade der Podcast noch eine Beschallung nebenher und unterwegs möglich macht; dass selbst die einfachste hauswirtschaftliche Tätigkeit noch mit einem Sinnkonzept überhöht wird, falls der Stress nicht schon ausreicht.

Das Versprechen ist natürlich verlockend: Wer es schafft, Stress abzubauen und positiv zu denken, der hat ein besseres Leben vor sich. Eine selbstformulierte Vision vom eigenen Leben, nichts klingt souveräner, authentischer, natürlicher. Und transformativer: Näher an den eigenen Träumen und Wünschen wohnt ein besseres Selbst.

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