Leichte Sprache*

«Die Menschen brauchen mehr Hoffnung»

Die Seite wurde Ihrer Lesezeichenseite hinzugefügt. Klicken Sie auf das Menüsymbol, um alle Ihre Lesezeichen anzuzeigen. Die Seite wurde von Ihrer Lesezeichenseite entfernt.
Freitag, 26. Mai 2023

Übersetzung von Auszügen aus dem Artikel «Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit» von Dorothee Sölle, erschienen 1992 in der Zeitschrift «Neue Wege».

Eine Gruppe von Studenten analysierte die Folgen der Arbeitslosigkeit, sie sprachen über den Verlust des Zeitgefühls, über die Störungen in den Beziehungen, über die Bedrohung des Selbstwertgefühls und über materielle Verelendung. An der Tagung nahmen auch Arbeitslose teil, sie wurden immer unruhiger bei den Beschreibungen. Schliesslich platzte einer los: «Wir sind schon arbeitslos. Wir können uns so viel Hoffnungslosigkeit nicht mehr leisten.» Die Opfer ärgerten sich über die, die sie als blosse Zuschauer ihrer Verelendung ansahen. (…) Und in der Tat: Die Beschreibung des Elends samt Erkenntnis seiner Ursachen ist unzureichend. Sie ist eine andere Art von Luxus, an dem wir ersticken.

Ich habe mich mit Studenten getroffen.

Wir haben über Arbeitslosigkeit gesprochen.

Arbeitslosigkeit heisst: Menschen haben keinen Job.

Bei dem Treffen waren auch Arbeitslose dabei.

Die Arbeitslosen haben den Studentinnen leid getan.

Die Studentinnen haben gesagt: «Keinen Job haben ist schlimm.

Arbeitslose verlieren ihre Freunde.

Sie fühlen sich schlecht.

Und sie haben kein Geld.

Um Essen und Kleider zu kaufen.»

Die Arbeitslosen haben den Studenten zugehört.

Und sie sind wütend geworden.

Die Arbeitslosen haben zu den Studentinnen gesagt:

«Ihr redet nur über uns.

Aber ihr nehmt uns die Hoffnung weg.

Jetzt fühlen wir uns noch schlechter.»

Die Arbeitslosen haben recht gehabt.

Die Studenten haben nur über die Probleme von den Arbeitslosen geredet.

Aber das reicht nicht.

Die Menschen brauchen auch Hoffnung.

Die Rezitation der Zukunftslosigkeit hat genug Gründe für sich und wird doch häufig (ich erlebe das auch) als verfeinerter Zynismus empfunden. Es gibt eine negative Genüsslichkeit, die sich darin ausruht, das gegenwärtige und zukünftige Unglück in Sprache zu bringen. (…) Wir beschreiben uns als handlungsunfähig und sind in unserer Phantasie schon getötet, das erzwungene Einverständnis mit dem Unglück macht uns zu Zuschauern.

Heute gibt es viele Probleme auf der Welt.

Die Umwelt geht kaputt.

Menschen haben Hunger.

Und in vielen Ländern gibt es Krieg.

In den reichen Ländern gibt es viele kluge Leute.

Zum Beispiel Wissenschaftlerinnen.

Oder Philosophen.

Diese Leute denken über die Probleme auf der Welt nach.

Und sie schreiben dicke Bücher darüber.

Die klugen Leute haben aber keine Hoffnung.

Sie sagen: «Die Welt ist kaputt.

Dagegen können wir auch nichts tun.

Wir können nur über die Probleme schreiben.»

Das macht den klugen Leuten sogar Spass.

Das ist traurig.

Die klugen Leute sollten nicht nur über das Schlechte schreiben.

Davon wird unsere Welt nicht besser.

Darüber sollten die klugen Leute mehr nachdenken:

– Wie können wir die Welt verändern?

– Wie sieht eine bessere Welt aus?

Dazu braucht es Phantasie.

Die haben die klugen Leute aber meistens nicht.

Und so stehen wir wie Zuschauer (…) dabei, etwas entfernt, aber doch so, dass wir die Schreie noch hören und den Gestank, den Gefolterte verbreiten, noch riechen können. Was an dieser Zuschauerposition so unerträglich ist, ist die Bürde eines Wissens, das jede Qualität von Befreiung, Hoffnung, Veränderung verloren hat. Es ist weithin zum Todeswissen geworden. Es dient dazu, die Aussichtslosigkeit noch einmal zu demonstrieren.

Auf der Welt geschehen schreckliche Dinge.

Zum Beispiel werden Menschen gefoltert.

Weil sie für ihre Freiheit kämpfen.

Die Menschen in den reichen Ländern sind darüber gut informiert.

Sie wissen: In manchen Ländern sind die Menschen nicht frei.

Die Menschen in den reichen Ländern finden das schlimm.

Aber sie sagen auch:

«Auf der Welt hat es immer viel Elend gegeben.

Das bleibt auch in Zukunft so.

Wir können nicht alle Menschen befreien.»

Die Menschen in den reichen Ländern haben die Hoffnung verloren.

Sie glauben nicht an eine bessere Welt.

Und schauen dem Elend nur zu.

Die wirklich zu leistende Arbeit wäre, einen Zwiespalt in die eigene Hoffnungslosigkeit zu treiben. Sich selber in den Unglücksrezitativen zu zementieren ist die Sprache des Unglaubens. Christus hat nicht die Bewegungslosigkeit des Gelähmten beschrieben, nicht die Blindheit der Blinden erklärt. Der andere Blick, der gegen den Augenschein behauptet: «Sie wird aufrecht gehen», «er wird sehen», ist die Voraussetzung der Heilung.

Die Menschen in den reichen Ländern können alles gut erklären.

Zum Beispiel warum es eine Hungers-Not in Afrika gibt.

Oder warum Frauen in vielen Ländern unterdrückt sind.

Aber nur erklären hilft nicht.

Die Menschen in den reichen Ländern müssen auch Hoffnung haben.

Und an eine bessere Welt glauben.

Auch Jesus hat nicht nur erklärt.

Sondern er hat den Menschen Hoffnung gemacht.

In der Zeit von Jesus hat es viele arme Menschen gegeben.

Manche waren blind.

Andere hatten kaputte Beine.

Jesus hat nicht über die Probleme von diesen Menschen geredet.

Jesus hat gesagt:

«Irgendwann können diese Menschen wieder sehen.

Und sie können wieder gehen.»

Das hat den Menschen Mut gemacht.

Und sie haben sich besser gefühlt.

Das sollten auch die Menschen in den reichen Ländern lernen.

Sie sollten nicht nur auf das Elend schauen.

Sondern fester an das Gute glauben.

Auch wenn das schwer ist.

Dann kann unsere Welt besser werden.

  • In grossen Fussstapfen

    N° 4/2023

    CHF14.00 inkl. 2.6% MwSt.
    In den Warenkorb