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Autorin: Vanessa Buff
Illustration: Luogo Commune
Freitag, 17. März 2023

Zu Beginn der achtziger Jahre landete die US-amerikanische Rockband Chicago einen ihrer grössten Hits. Der Song erreichte in mehreren Ländern Platz 1 der Charts, und in den USA gehörte er 1982 zu den zehn meistgehörten. Er beginnt so:

Everybody needs a little time away
I heard her say
From each other
Even lovers need a holiday
Far away from each other

Wobei der Sänger das «other» mit schmelziger Stimme in die Länge zieht, «ooooother», wie einen Musik gewordenen Hefeteig, süss und schlicht und ideal zum Mitsingen. Oder um sich in der Eisdisco herzklopfend in die Augen zu schauen.

Das Lied heisst «Hard To Say I’m Sorry», was in etwa so viel bedeutet wie «Es fällt mir schwer, mich zu entschuldigen.» Wie schwer genau, merkt man, wenn man einmal die gesamten Lyrics durchliest. Denn eine Entschuldigung kommt nur in einer einzigen Zeile vor – «Hold me now, I really wanna tell you I’m ­sorry» –, und schwupps, ist sie auch schon wieder vorüber.

Den Rest des Songs verwenden Chicago darauf zu erzählen, dass der Protagonist es nicht ertragen könne, auch nur einen Tag (sic!) vom Körper (SIC!) seiner Angebeteten getrennt zu sein und dass er sie niemals gehen lassen wolle, nach allem, was sie bereits zusammen durchgemacht hätten. Eine diffuse Ankündigung, es wiedergutmachen zu wollen, gepaart mit fast schon bedrohlich wirkenden Komplimenten und der Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse, um die Frau so richtig schön unter Druck zu setzen – ist das womöglich die schlechteste Entschuldigung der Musikgeschichte?

Aber, liebe Chicago-Fans, entspannt euch – es soll hier nicht darum gehen, euch den Song madig zu machen. Tatsächlich hat die Band nur ein wunderbares Beispiel dafür geliefert, was wir aus unserem eigenen Alltag kennen: dass es extrem schwierig ist, anständig um Entschuldigung zu bitten.

Das liegt zum einen daran, dass man sich vor einer Entschuldigung zuerst eingestehen muss, dass man einen Fehler gemacht hat, wie die Psychologin Imke Herrmann unlängst in der «ZEIT» erklärte. Je wichtiger der Bereich, in dem wir den Fehltritt begangen haben, für unser Selbstverständnis ist, desto schwerer fällt uns das. Zum anderen führt ein solcher Fehler oft zu Scham – und wer sich schämt, hat das Bedürfnis, sich zu verkriechen statt sich der Konfrontation zu stellen. Vor anderen wollen wir uns weder schwach noch mangelhaft zeigen.

Es ist menschlich, diesem Fluchtreflex nachgeben und sich ohne Entschuldigung aus unangenehmen Situationen herausmogeln zu wollen. Im Privaten gelingt uns das hin und wieder, auch wenn unsere Mitmenschen davon vielleicht wenig begeistert sind. Schwieriger wird es dagegen, wenn der Fauxpas in aller Öffentlichkeit geschehen ist, etwa einem Politiker oder einer Schauspielerin. Der Druck, der dann unter anderem in den sozialen Medien aufgebaut wird, macht ein «Sorry» oftmals unumgänglich. Doch nicht immer gelingt die Entschuldigung auch, wie unsere Beispiele zeigen. Ein «How (not) to» – unter anderem mit Sanna Marin, Will Smith und Friedrich Merz.

Friedrich Merz

«Zu meinen Äusserungen von gestern über die Flüchtlinge aus der Ukraine gibt es viel Kritik. Ich bedaure die Verwendung des Wortes ‹Sozialtourismus›. Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems. Mein Hinweis galt ausschliesslich der mangelnden Registrierung der Flüchtlinge. Mir lag und liegt es fern, die Flüchtlinge aus der Ukraine, die mit einem harten Schicksal konfrontiert sind, zu kritisieren. Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung.»

Der ehemalige deutsche Kanzlerkandidat und heutige Bundesvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, unterstellte im Herbst 2022 den Flüchtlingen aus der Ukraine «Sozialtourismus». Nachdem er dafür einen Shitstorm kassiert hatte, ruderte er zurück. Das obige Statement stammt von Merz’ Twitter-Kanal.

 

Es ist schon rein logisch ein Ding der Unmöglichkeit, sich für die Gefühle anderer zu entschuldigen – wie soll denn das auch gehen? Um Verzeihung bitten kann man nur für eigenes Verhalten, in diesem Fall also die «verletzende Wortwahl». Ausserdem zeugen «wenn, dann» Formulierungen von schlechtem Stil. Denn sie implizieren, dass – vielleicht, unter Umständen, womöglich – doch das Gegenüber das Problem sein könnte. «Was seid ihr auch so empfindlich, dass ihr euch durch meine Worte verletzt fühlt», so liesse sich die Aussage ebenfalls lesen. Hinzu kommt der Verweis darauf, dass es Einzelfälle von Sozialtourismus gegeben habe, was einem «Irgendwie habe ich eben doch recht» gleichkommt. Das erinnert an einen bockigen Teenager, der nach einem Zusammenschiss grollend vor sich hinmurmelnd ins Zimmer verschwindet. Mit Verlaub, Herr Merz, aber das können sogar Chicago besser.

☆☆☆☆☆

Will Smith

«Gewalt in all ihren Formen ist giftig und zerstörerisch. Mein Verhalten bei der gestrigen Oscar-Verleihung war inakzeptabel und unentschuldbar. Witze auf meine Kosten gehören zum Job, aber ein Witz über Jadas Gesundheitszustand war zu viel für mich, und ich habe emotional reagiert.

Ich möchte mich öffentlich bei Dir entschuldigen, Chris. Ich habe mich danebenbenommen und lag falsch. Es ist mir peinlich, und mein Verhalten war kein Zeichen für den Mann, der ich sein möchte. Es gibt keinen Platz für Gewalt in einer Welt der Liebe und Güte.

Ich möchte mich auch bei der Academy, den Produzenten der Show, allen Anwesenden und allen Zuschauern auf der ganzen Welt entschuldigen. Ich möchte mich bei der Familie Williams und meiner ‹King Richard›-Familie entschuldigen. Ich bedauere zutiefst, dass mein Verhalten eine ansonsten grossartige Reise für uns alle beschmutzt hat.

Ich bin ein ‹work in progress›.»

Der Schauspieler Will Smith ist eigentlich als Mister Nice Guy bekannt. Bei der Oscar-Verleihung im März 2022 zeigte er jedoch ein anderes Gesicht: Auf der Bühne verpasste er dem Moderator der Show, Chris Rock, eine schallende Ohrfeige. Vorausgegangen war ein Witz über den krankheitsbedingten Haarausfall von Will Smiths Frau, Jada Pinkett Smith. Kurz nach dem Vorfall erhielt Will Smith den Oscar als bester Hauptdarsteller im Film «King Richard», der vom Vater und Coach der Tennisspielerinnen Venus und Serena Williams handelt. Smith veröffentlichte sein Statement auf Instagram.

 

Im Jahr 2016 untersuchten Forscher der Ohio State University, was eine gute Entschuldigung ausmacht. Sie definierten sechs Faktoren:

1. Bedauern ausdrücken

2. Erläutern, was schiefgelaufen ist

3. Verantwortung anerkennen

4. Reue zeigen

5. Wiedergutmachung anbieten

6. Um Vergebung bitten

Nicht jede Entschuldigung muss alle sechs Faktoren enthalten, aber je mehr davon integriert werden, desto grösser ist die Chance, dass die Entschuldigung akzeptiert wird. Am stärksten ins Gewicht fällt demnach Punkt drei: «Anerkennen Sie, dass Sie einen Fehler gemacht haben, und stellen Sie klar, dass Sie schuld sind», wie das Magazin «Forbes» die Studienergebnisse kommentierte.

Misst man die Entschuldigung von Will Smith an diesen Erkenntnissen, so schneidet der Oscar-Gewinner ziemlich gut ab. Zwar enthält sein Statement ein «aber» – etwas, von dem Experten abraten, weil es die Entschuldigung zur Rechtfertigung verkommen lässt und dem Gegenüber eine Mitschuld zuweist. Doch in diesem Zusammenhang klingt es eher wie eine Erklärung denn wie eine Rechtfertigung – und erklären soll man sich ja gemäss der erwähnten Studie. Einzig den Punkt mit der Wiedergutmachung, der von den Forschern als zweitwichtigster Faktor herausgearbeitet wurde, hätte Will Smith noch optimieren können. Natürlich kann man eine Ohrfeige nicht zurücknehmen. Auch ein nachträglich an Chris Rock verschicktes Cold Pack wäre wohl eher kontraproduktiv gewesen. Aber wie wäre es zum Beispiel mit einer Spende an eine NGO, die sich für Opfer von Gewalt engagiert?

★★★★☆

Lizzo

«Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass mein neuer Song ‹Grrrls› ein schädliches Wort enthält. Lasst mich eine Sache klarstellen: Ich will niemals den Gebrauch abfälliger Sprache fördern. Als schwarze, dicke Frau in Amerika habe ich erlebt, dass viele verletzende Worte gegen mich gerichtet wurden, deshalb verstehe ich die Macht, die Worte haben können (egal ob sie bewusst oder in meinem Fall unbewusst verwendet werden). Ich bin stolz, eine neue Version von ‹Grrrls› ankündigen zu können, mit veränderten Lyrics. Das ist das Ergebnis meines Zuhörens und Handelns. Als einflussreiche Künstlerin möchte ich Teil der Veränderung sein, auf die ich in der Welt gewartet habe.»

Die US-amerikanische Rapperin Lizzo wird von der Öffentlichkeit geliebt. Selbst Barack Obama, der regelmässig Listen seiner Lieblingssongs veröffentlicht, hört die Afroamerikanerin mit der unverblümten Sprache. Doch als Lizzo im Sommer 2022 ihren neuen Song «Grrrls» vorstellte, wurde sie in den sozialen Medien dafür stark kritisiert. Der Grund: In den Lyrics fand sich das Wort «spaz» – ein abwertender Begriff für Menschen, die unter krankhaft erhöhter Muskelspannung oder Krämpfen leiden, sogenannte Spastiker. Eine Aktivistin für Behindertenrechte schrieb auf Twitter: «Wir haben 2022. Mach das besser.» Und Lizzo machte es besser. Ihr Statement veröffentlichte sie unter anderem auf Twitter.

 

Ein kniffliger Fall. Denn einerseits ist das ein ziemlich starkes Statement, das durch die eigene Betroffenheit noch überzeug­ender wirkt. Kaum jemand dürfte Lizzo, nachdem sie auf ihren Status als Angehörige gleich mehrerer Minderheiten hingewiesen hat, noch eine böse Absicht unterstellen. Doch andererseits – ist das überhaupt eine Entschuldigung? Schliesslich findet sich kein «Es tut mir leid», kein «Verzeihung», noch nicht einmal ein simples «Sorry».

Lizzo hat sich wohl an das Motto gehalten, dass eine Handlung mehr aussagt als tausend Worte, und ihren Fehler sogleich korrigiert. Mit der Änderung ihrer Lyrics hat sie zudem Aufmerksamkeit für ein Thema generiert, das in den Diskussionen um sensible Sprache bisher wenig beleuchtet wurde: die Verwendung von ableistischen (von engl. able – fähig, bwz. disabled – behindert) Wörtern wie «Spast» oder «Irre». Damit hat sie im wahrsten Sinne Wiedergutmachung geleistet. Auch wenn es ein bisschen mehr «Äxgüsi» durchaus vertragen hätte.

★★★★☆

Xavier Naidoo

«… Mir ist bewusst geworden, wie wichtig es ist, sich selbst zu reflektieren. Ich habe erkannt, auf welchen Irrwegen ich mich teilweise befunden habe und dass ich in den letzten Jahren viele Fehler gemacht habe. Mir wurde bewusst, dass ich meine Familie, meine Freunde, meine Fans, Menschen, die mich verteidigt haben, aber auch viele andere Menschen mit verstörenden Aussagen irritiert und provoziert habe, für die ich mich entschuldigen möchte.

Ich habe mich letztlich verrannt. Ich habe mich Theorien, Sichtweisen und teilweise auch Gruppierungen geöffnet, von denen ich mich ohne Wenn und Aber distanziere und lossage. Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet und habe sie nicht genug hinterfragt. Habe mich zum Teil instrumentalisieren lassen. Bei der Wahrheitssuche war ich wie in einer Blase und habe mich manchmal vom Bezug zur Realität entfernt. Das habe ich jetzt erst erkannt. Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue. Mir ist es deshalb wichtig, euch zu sagen, dass ich mich von allen Extremen distanziere. Insbesondere und vor allem auch von rechten und verschwörerischen Gruppen. …»

Xavier Naidoo war in den Zweitausendern ein Star der deutschen Musikszene. Seine Alben verkauften sich millionenfach und hielten sich über Wochen auf Platz 1 der Charts. In den vergangenen zehn bis zwölf Jahren machte Naidoo aber eher als Verschwörungstheoretiker von sich reden. Er war in der Corona-Leugner-Szene aktiv und soll dem rechtsextremen Milieu nahegestanden haben. Im Frühling 2022 publizierte er ein Video, in dem er um Entschuldigung bat und sich u. a. von Rassismus und Antisemitismus distanzierte. Das Video ist auf Youtube zu sehen.

 

Hört, hört, ist man beim ersten Klick auf das Video von Xavier Naidoo versucht zu sagen. Da hat es also tatsächlich jemand geschafft, nach jahrelangem Wandeln auf Irrwegen zur Vernunft zu kommen. Naidoo gesteht Fehler ein, was ihm angesichts seiner Vergangenheit und Vernetzung im Verschwörungsmilieu nicht leichtgefallen sein dürfte. Er liefert eine Erklärung für das Geschehene und distanziert sich zum Schluss von allem, wofür er bisher kritisiert wurde. Soll erfüllt – oder?

Beim zweiten Mal ansehen fällt die Analyse des Videos nicht ganz so positiv aus. Denn Naidoo bleibt seltsam vage: Welche Aussagen waren denn genau verstörend? Von welchen Gruppierungen sagt er sich konkret los? Und an welche Theorien glaubt er heute nicht mehr – und an welche vielleicht schon? Da wäre definitiv mehr gegangen. Hinzu kommt, dass die Entschuldigung komplett isoliert steht. Weder deutete vorher etwas auf eine Kehrtwende hin, noch hat Naidoo seither seine neue Haltung bekräftigt. Das nährte Spekulationen, der Sänger habe mit dem Video nur sein Image aufpolieren und ein allfälliges Comeback vorbereiten wollen. «Too little, too late», würde man auf Englisch wohl sagen – zu wenig, zu spät. Oder etwas positiver formuliert: Diese Entschuldigung ist allenfalls der erste Schritt auf einem noch recht langen Weg zur Läuterung.

★★★☆☆

Kariem Hussein

«Eigentlich sollte ich jetzt im Flieger nach Tokio sein. Ich bin es nicht, und es ist mir ein Anliegen, euch persönlich zu sagen, wieso dem so ist. Am 26. Juni nach dem Finale der Schweizer Meisterschaften habe ich mich unterzuckert gefühlt und habe völlig unbekümmert in Anwesenheit von anderen Leuten, in Anwesenheit des Doping-Kontrolleurs, im Wissen, dass in einer Stunde eine Doping-Kontrolle stattfindet, eine Gly-Coramin-Lutschtablette genommen. Ich betone, dass ich das nach dem Rennen und vor der Doping-Kontrolle gemacht habe. Ein paar Wochen später habe ich das Schreiben von Anti-Doping erhalten, mit einem positiven Testresultat auf einen Inhaltsstoff dieser Lutschtablette.

Was bedeutet das jetzt? Ich bin für neun Monate gesperrt. Der Traum von Tokio ist geplatzt. Das ist extrem bitter, weil ich drei Jahre sehr viel und intensiv daran gearbeitet habe, wieder zurückzukommen. Es ist nicht nur für mich bitter, sondern auch für alle Leute, die mich auf diesem Weg begleitet haben, unterstützt haben. Und ich entschuldige mich von Herzen bei euch allen für diesen Fehler, für diese Unachtsamkeit, die ich begangen habe. Es tut mir leid, dass diese Reise hier ein abruptes Ende nimmt. Aber alle, die mich kennen, wissen: Die Reise geht weiter.»

Hürdenläufer Kariem Hussein war einst einer der besten Schweizer Leichtathleten. Er war Schweizer Meister, Europameister und schaffte es bei der WM 2017 sogar in den Final. Die Olympischen Spiele 2020 in Tokio, die wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben werden mussten, verpasste er jedoch wegen einer neunmonatigen Doping-Sperre. Husseins Video-Statement ist auf verschiedenen News-Plattformen zu sehen.

 

Ein Team amerikanischer und britischer Forscherinnen untersuchte in einer 2015 publizierten Studie, welche Rolle die Emotionalität beim Entschuldigen spielt. Dabei fokussierten sie auf die Geschäftswelt, genauer gesagt auf Firmenchefs, die öffentlich um Verzeihung bitten mussten. Die Ergebnisse: Wenn ein CEO bei seiner Entschuldigung lächelte, sank in der Folge der Aktienkurs seiner Firma. So weit, so vorhersehbar: Wer grinst, weil sein Nahrungsmittelkonzern gerade Tausenden Kunden Salmonellen angehängt hat, darf wirklich nicht mit einer Belohnung rechnen.

Erstaunlich ist jedoch, dass auch eine aufrichtig zerknirschte Mimik keine positiven Auswirkungen hatte: CEOs, die sogenannt normative oder erwartbare Emotionen zeigten, ermöglichten es ihrem Unternehmen lediglich, weiterzumachen wie bisher, so die Autorinnen. Der Aktienkurs blieb demnach konstant. Erst wenn die Chefin ein richtig trauriges Gesicht machte, stieg der Kurs.

Sichtbare Ergriffenheit scheint also das Vertrauen zu wecken, dass eine Entschuldigung ernst gemeint ist. Im Video-Statement zu seiner Doping-Sperre macht der Schweizer Hürdenläufer Kariem Hussein darum alles richtig. Zum einen liefert er sich auf diese Weise stärker aus, als wenn er lediglich schriftlich kommuniziert hätte. Das braucht durchaus Mut. Zum anderen zeigt Hussein sich den Tränen nahe, muss während des Sprechens immer wieder kurz schlucken. Weiter erklärt er genau, was passiert ist, und nimmt die Schuld für das Geschehene auf sich. Hätte Kariem Hussein eine Aktie, sein Kurs wäre nach dieser Entschuldigung bestimmt nach oben gegangen – auch wenn ihm entgegenkommt, dass er mit seiner Aktion weniger anderen Menschen als vielmehr sich selbst geschadet hat.

★★★★★

Sanna Marin

«… Ich denke, dass das Bild nicht angemessen ist, und ich entschuldige mich dafür. Ein solches Bild hätte nicht gemacht werden dürfen.»

«Ich bin ein Mensch. In diesen dunklen Zeiten vermisse auch ich manchmal Freude, Licht und Spass. Und das beinhaltet gewisse Videos und Fotos, die ich lieber nicht sehen würde und von denen ich sicher bin, dass auch Sie sie nicht sehen möchten. Und trotzdem werden sie uns allen gezeigt. Es ist privat, es ist freudig und es ist das Leben. Doch ich habe keinen einzigen Tag Arbeit verpasst. Ich habe keine einzige Regierungsaufgabe unerledigt gelassen, und das werde ich auch nicht. All das ist irrelevant, wenn es darum geht, dieses Land stärker zu machen.

Wir haben Freunde in Europa, in der Ukraine, in Kiew, die eine viel schwierigere Zeit durchmachen. In diesen Tagen habe ich an Präsident Selenski gedacht, an Premierminister Schmyhal und das ukrainische Volk. An Menschen, die wirklich leiden und Probleme haben. Ich werde lernen und meinen Job so gut machen wie immer. Aber ich denke an die Ukraine, ich denke an Sie und ich werde meinen Job machen. Danke.»

Die finnische Premierministerin Sanna Marin geriet im Sommer 2022 gleich mehrmals in die Schlagzeilen: Zunächst wurde ein Video auf den sozialen Medien herumgereicht, das die Politikerin tanzend und feiernd mit Freunden zeigte. Kurz darauf erschien ein Foto zweier Frauen, die sich küssten und dabei ihre T-Shirts hoben. Keine davon war Marin selbst, doch das Bild war bei einer Party in ihrer offiziellen Residenz entstanden. Marin nahm bei mehreren Gelegenheiten Stellung zu den Vorfällen; das hier zuletzt zitierte Statement hielt sie den Tränen nahe. Es ist auf diversen News-Plattformen zu finden.

 

Ein gutes Beispiel, um zu zeigen, dass eine Entschuldigung nicht losgelöst von ihrem Anlass betrachtet werden kann. Denn es ist ja schon ein Unterschied, ob man, sagen wir, den Namenstag des Partners vergisst oder ihn mit seinem besten Freund betrügt. Die Schwere des Vergehens muss sich also zwingend darauf auswirken, wie viele Schürfwunden man sich beim Zu-Kreuze-Kriechen holt.

Im Fall der finnischen Premierministerin Sanna Marin ist sogar fraglich, ob eine Entschuldigung überhaupt nötig war. Denn zuschulden kommen lassen hatte sie sich eigentlich nichts. Sie hatte weder Drogen genommen noch ihre Arbeit vernachlässigt noch jemanden verletzt, beleidigt oder gefährdet. Sie hatte lediglich Spass gehabt, wie andere Menschen in ihrem Alter auch – Marin ist 36 und gehört damit zu den jüngsten Regierungschefinnen der Welt.

Interessant ist in diesem Fall die Rolle des Geschlechts. Denn zum einen verwiesen Marins Unterstützerinnen darauf, dass männliche Spitzenpolitiker kaum je wegen ihrer Partyvideos in die Kritik geraten waren. Zum anderen ist wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen öfter um Verzeihung bitten als Männer. Das liegt aber nicht daran, dass Männer zu stolz oder zu feige wären, um sich zu entschuldigen. Sondern daran, dass sie schlicht weniger Situationen als entschuldigenswert wahrnehmen, wie eine Studie aus den USA herausfand. Was der Grund dafür ist und ob die sozialen Erwartungen an Männer und Frauen dabei eine Rolle spiele, untersuchte die Studie nicht.

Doch zurück zum eigentlichen Thema – Sanna Marins Entschuldigung. Ähnlich wie Kariem Hussein zeigt auch sie sich den Tränen nahe. Kommunikationstheoretisch schlau ist zudem der Verweis auf grössere Probleme wie etwa den Ukraine-Krieg. Bei Sanna Marin wirkt das aber ungelenk, fast schon ein wenig verzweifelt – selbst wenn man sich vergegenwärtigt, dass Finnland eine Grenze mit Russland teilt und deshalb unmittelbar vom Krieg in der Region betroffen ist.

Alles in allem wird man den Eindruck nicht los, dass Marin selbst nicht so genau weiss, wofür sie um Verzeihung bitten soll. Daher wäre es vermutlich souveräner gewesen, ganz auf eine Entschuldigung zu verzichten – selbst wenn das bedeutet hätte, einiges an öffentlichem Druck auszuhalten. Doch dagegen soll, so haben wir uns sagen lassen, Tanzen sehr gut helfen. Also: Dance on, Mrs. Prime Minister!

★★★☆☆