
«Der Schmerz macht Hühner und Dichter gackern», schrieb der philosophische Leidensathlet Friedrich Nietzsche in «Also sprach Zarathustra». Ob er viel Ahnung vom Federvieh hatte, ist nicht überliefert. Aber dass viele geflügelte Worte in der Literatur vom Schmerz gezeichnet sind, steht ausser Frage. Kein Liebeslied, ob vom schlichten Schlager bis zum charmanten Chanson, taugt etwas ohne ihn.
In der Poesie und der Philosophie lassen wir ihn gelten. Auf medizinischer und seelischer Ebene wird er dagegen bekämpft. Schmerzen sollen gar nicht erst aufkommen, und wenn sie es doch tun, werden sie sofort pharmazeutisch ruhiggestellt.
Man muss kein Masochist sein, um im Schmerz einen nützlichen, wohlmeinenden Warnhinweis zu erkennen, der uns unsere körperlichen und seelischen Grenzen aufzeigt. Ohne den Schmerz gäbe es keine Notwendigkeit, etwas an seinem Leben zu verändern. Unsere Kultur versucht krampfhaft, den Schmerz auszumerzen.
Dieser Trend macht auch vor dem Verständnis des heutigen Christseins nicht Halt. An den «Schmerzensmann» Christus erinnern sich selbst Protestanten nur noch in der Karwoche. Wir sonnen uns eher in Jesus als einem Wohlfühl-Coach. Dass jede Transition allerdings mit Schmerzen verbunden ist, blenden wir – von der Kreuzigungsszene abgesehen – aus.
Dabei sind es gerade die Schmerzen, die den Übergang vom Menschen zum Gottessohn kennzeichnen. Und in den Geburtswehen hallt das Echo nach vom Schmerz, der neues Leben hervorbringt.
Im Mittelalter stand das Leiden noch im Zentrum des theologischen Selbstverständnisses. In der christlichen Ikonografie erscheint der Pelikan, der sich mit dem Schnabel ein Loch in sein Herz bohrt, um seine verhungernden Jungen mit seinem Blut zu füttern. Der alte Pelikan stirbt, auf dass seine Nachkommen überleben können.
Dabei beruht das Sinnbild für den Opfertod des Herrn auf einem antiken biologischen Missverständnis: Pelikane schlingen ihre Nahrung hinunter, um sie zur Fütterung ihrer Jungen leicht verdaut wieder hervorzuwürgen. Das Fischblut auf der gefiederten Brust erweckte den Anschein, als würde der Vogel sein eigenes Herzblut an die Jungen verfüttern.
Wir alle füllen heute unser Herzblut lieber in kleine Ampullen ab, statt es zu verströmen. Geradezu hysterisch sind wir auf Schmerzvermeidung konditioniert.
Doch wäre ein Leben ohne Leiden nicht eine leidige Existenz? Angesichts des Kreuzes von Golgatha lohnt es sich, an Maria Ebner-Eschenbachs Satz zu erinnern: «Der Schmerz ist der grosse Lehrer der Menschen. Unter seinem Hauche entfalten sich die Seelen.»
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