Die Nacht über Zürich ist dunkel, als Marian Matei seine Augen öffnet. Bis zur Morgendämmerung wird es noch einige Stunden dauern. Vögel zwitschern keine. Dicht in seinen Schlafsack und eine graue Wolldecke gewickelt, liegt der Rumäne noch einige Minuten da, bis er sich an die Dunkelheit gewöhnt hat. Über sich erkennt er jetzt schwach die abblätternde rote Farbe an den Holzlatten einer Bank. Darauf liegt seine Isoliermatte, um ihn vor dem kühlen Nieselregen zu schützen.
Matei, der eigentlich anders heisst, verbringt seine Nächte draussen. Wie die meisten mittellosen Arbeitsmigranten sucht er in Zürich nach Arbeit und vor allem: nach einem besseren Leben.
Leise rollt sich Matei unter der Bank hervor. Er rafft Decke, Schlafsack und Matte zusammen und stopft sie erschöpft in einen weissen Plastiksack. Mehr als vier Stunden pro Nacht schlafe er nicht, sagt er in gebrochenem Englisch und zieht seine gefütterte Jeansjacke enger um sich. «Irgendwann öffnen sich deine Augen wegen der Kälte, auch wenn du noch müde bist.» Aus einigen Metern Entfernung hört der 33jährige das Rascheln eines anderen Schlafsacks. Auch dort liegt ein Mann aus Osteuropa auf dem weichen Gummiboden eines Spielplatzes.
Wie jeden Morgen macht sich Matei auf den Weg zum Gassencafé Sunestube des Sozialwerks Pfarrer Sieber. Es ist die einzige niederschwellige Einrichtung in Zürich, die bereits um 6 Uhr früh öffnet.
Im schwarzen Rucksack, den Matei stets bei sich trägt, befinden sich Taschentücher, ein Deo, Parfum, Haargel, Fusspuder, Nagelclipper, Feuchttücher, sein Lebenslauf, ein leeres Pack Kopfschmerztabletten, Pflaster, Kondome, ein Stift gegen trockene Lippen, Utensilien zum Rauchen, kaputte Kopfhörer sowie eine Bibel auf Rumänisch. In der Sunestube schlafen viele Obdachlose mit den Köpfen auf Tischen oder trinken Kaffee, um der Kälte zu entkommen. «Wenn ich hier alle Leute sehe, vergesse ich die Strapazen der letzten Nacht», sagt Matei.
Dank dem Freizügigkeitsabkommen dürfen Menschen aus EU- und Efta-Staaten in die Schweiz einreisen und hier eine Stelle suchen. Wenn sie weniger als drei Monate arbeiten, brauchen sie dafür keine Aufenthaltsbewilligung. Sie müssen sich aber spätestens einen Tag vor Jobbeginn anmelden. In dieser Zeit haben sie keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Auch die Türen zu so manchen öffentlichen Institutionen bleiben ihnen verschlossen.
«Viele der staatlichen oder kantonalen sozialen Einrichtungen erfordern eine Aufenthaltsbewilligung, um zu essen, zu schlafen, zu duschen», erklärt Zsolt Temesvary. Ohne seien Migrantinnen und Migranten nur in niederschwelligen Organisationen wie etwa der Notschlafstelle Iglu willkommen.
Auf den Strassen der Schweiz leben schätzungsweise 100 000 Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung. Viele davon sind Sans-papiers, doch bei knapp einem Drittel, also total rund 30 000 Menschen, handelt es sich um Arbeitsmigranten und -migrantinnen aus Osteuropa. Das zeigt die Studie «Routes into destitution», welche die Sozialwissenschaftler Zsolt Temesvary, Sabrina Roduit und Matthias Drilling von der Fachhochschule Nordwestschweiz vor einem Jahr publizierten.
Die Untersuchung macht ausserdem deutlich, in welchen Branchen die Betroffenen hauptsächlich tätig sind: Reinigung, Sexarbeit, Bau und Gastgewerbe — oft Jobs, die ohne Ausbildung und Dokumente ausgeführt werden können.
Doch überhaupt Arbeit zu finden ist schwierig: Fast die Hälfte der Befragten gab an zu betteln, auf der Strasse zu musizieren, Blumen zu verkaufen, um an Geld zu kommen. Eine zentrale Erkenntnis der Studie war ausserdem, dass sich Betroffene selten selber aus dem Teufelskreis zwischen Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, schlechter Gesundheit und absoluter Armut befreien können. Für ihr Projekt befragten die Forschenden in Genf, Basel und Zürich insgesamt über 180 Armutsreisende.
Temesvary ist seit 2018 Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Vor rund einem Jahr veröffentlichte er gemeinsam mit zwei weiteren Forschenden die Studie «Routes into destitution», die erste umfassende Forschungsarbeit zu Arbeitsmigration und Obdachlosigkeit in der Schweiz (siehe Kasten oben).
Während zwei Jahren tauchte Temesvary in das Leben auf den Strassen Zürichs, Basels und Genfs ein. Überrascht hat den Sozialwissenschaftler bei seinen Ergebnissen vor allem, dass knapp jeder dritte Befragte, der in der Schweiz auf der Strasse übernachtet, in seinem Heimatland eine eigene Wohnung hatte. «Es ist also eine Migration von armutsbetroffenen, nicht von obdachlosen Menschen», so Temesvary.
Die Armutsreisenden aus Osteuropa sind meist vergleichsweise schlecht qualifiziert. Doch auch wenn sie Arbeit finden, seien die Löhne manchmal so tief, die Arbeitsbedingungen so prekär, dass sie darauf kein sicheres Leben aufbauen können, so Temesvary. «Ich sprach mit Menschen, die als Fensterputzer, Strassenreiniger oder in der Gastronomie arbeiteten und trotzdem Strassenobdachlose waren. Sie gingen direkt von der Strasse zur Arbeit.»
Gerade Frauen landeten zudem oft in der Prostitution (siehe Kasten unten). Die Arbeitsmigranten aus Osteuropa hätten oft unrealistische Träume und seien Legenden eines reichen Landes mit Fachkräftemangel nachgegangen: «Hier folgt dann die grosse Enttäuschung.»
Auf der Suche nach einer Tasche
Matei kennt das Übernachten im Freien bereits seit dem Teenager-Alter, als er in einem Kinderheim in Bukarest aufwuchs. Er habe neun Halbbrüder von verschiedenen Vätern, deshalb habe seine Mutter viele von ihnen aus finanziellen Gründen wegegeben. Kam er nach 22 Uhr beim Kinderheim an, musste er draussen schlafen. «Damals hatte ich Angst, aber jetzt nicht mehr. Ich habe gelernt, immer aufmerksam zu sein», erzählt Matei. Bei der Erinnerung lächelt er und zeigt einige schwarze, verfaulte Zähne über seinem gestutzten dunklen Bart.
Die meisten Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltserlaubnis sind Männer. Doch auch Frauen reisen auf der Suche nach einem besseren Leben in die Schweiz, es sind rund 30 Prozent. Wenn sie Arbeit finden, dann am häufigsten in der Reinigung und in der Sexarbeit, wie die Untersuchung «Routes into destitution» der Fachhochschule Nordwestschweiz zeigt.
«Wenn jemand keine Skills hat, dann liegt Sexarbeit auf der Hand», sagt Anna Maros, Beraterin für Sexarbeiterinnen bei der Fachstelle Isla Victoria. Für viele Frauen sei die Sexarbeit der einzige Weg aus der Armut. Einige kämen allein in die Schweiz, andere mit einer Organisation. Häufig werden die Frauen nicht darüber aufgeklärt, was genau sie in der Schweiz erwartet.
Vier von fünf Sexarbeiterinnen in der Schweiz stammen aus Osteuropa. Wie Anna Maros sagt, wollen sie sich hier nicht niederlassen. «Viele Osteuropäerinnen wollen nur Geld verdienen und möglichst schnell wieder nach Hause.» Deshalb reisen die meisten zwischen Heimatland und der Schweiz hin und her.
So auch die Ungarin, die sich Nora nennt. Die Mutter von drei Kindern arbeitet seit 13 Jahren abends sowie in der Nacht als Sexarbeiterin an der Zürcher Langstrasse, morgens putzt sie in einer Bar. Mit Anfang 20 reiste sie in die Schweiz, seither kehrt sie regelmässig zurück zu ihrer Familie. Nur dort könne sie abschalten von der körperlich anspruchsvollen Arbeit, sagt sie. «Ich bin müde und habe keine Lust mehr. Nix, keine Kraft», sagt sie schroff. Auch wenn sie nicht gerne arbeitet, gebe es einen Grund, wieso sie den Beruf weiterhin ausübe: «Ich will nicht, dass meine 21jährige Tochter jemals als Sexarbeiterin arbeiten muss.»
Später heiratete Matei eine Frau, die er noch vom Kinderheim her kannte, wurde bereits mit 18 Jahren Vater. Die Familie wanderte nach Zypern aus, auf der Suche nach Arbeit, die zum Leben reicht. Mittlerweile ist Matei geschieden, er hat drei Kinder von zwei Frauen, der älteste Sohn ist 15 Jahre alt. Die Suche nach einem besseren Leben führte ihn durch ganz Europa, nach Deutschland, Irland, Griechenland, und nun in die Schweiz. Hier hofft er, einen Job auf einer Baustelle zu finden, um das Geld nach Hause zu schicken. Er sagt: «Ich könnte jede Arbeit machen, aber betteln würde ich nie.»
Gegen 9 Uhr schlüpft Matei erneut in seine Jacke, nimmt seinen kleinen schwarzen Rucksack und den grossen weissen Plastiksack. Sein nächstes Ziel: das Café Brot-Egge, ebenfalls vom Sozialwerk Pfarrer Sieber. Viele Gesichter sieht er hier täglich: Fast alle sind Arbeitsmigranten aus Rumänien, Polen oder Ungarn. In der Luft mischt sich der Geruch von Brot und Würstchen mit Schweiss und feuchter Kleidung. Matei lässt sich auf einen Stuhl fallen, schiebt den Plastiksack in die Ecke und lädt sein Handy an einer Steckerleiste.
«Mit dem Plastiksack sehe ich aus wie ein Obdachloser. Ich will nicht, dass die Leute das wissen.» Marian Matei, Arbeitsmigrant
Ein paar Stunden später nimmt Matei mit vollem Magen den Bus zurück ins Stadtzentrum. Er möchte sich bei kirchlichen Hilfsorganisationen nach einer neuen Tasche erkundigen. «Mit dem Plastiksack sehe ich aus wie ein Obdachloser. Ich will nicht, dass die Leute das wissen», sagt er. Tatsächlich wirkt Matei bis auf den Sack nicht, als würde er seine Nächte im Freien verbringen: Seine Kleidung ist sauber, seine Schuhe sind neu, er riecht nach Parfum.
Auch um ein neues ZVV-Monatsabo möchte er bitten, sein altes sei vor zwei Tagen abgelaufen. «Wenn ich ohne Ticket fahre, stehe ich immer. Ich möchte niemandem einen Sitzplatz wegnehmen, der dafür bezahlt hat», sagt er, während er durchs Busfenster die vorbeiziehende Stadt betrachtet. Matei weiss, mit welchem Bus er wie viele Stationen fahren muss, kennt aber die Namen der Haltestellen nicht. Und sogar zu Fuss orientiert er sich mühelos: «Ich habe die Stadt im Kopf», erklärt er.
Doch auch nach vier Organisationen und fünf Stunden im Nieselregen hat er weder Abo noch Tasche. Matei ist frustriert: «Sie haben die Sachen, aber geben sie mir nicht. Ich durchschaue das Schweizer System: Sie wollen dir keine Chance geben als Ausländer.» Auch seinen zerknitterten Lebenslauf habe er bei vielen Baustellen abgegeben, angerufen habe niemand.
Gefangen im Teufelskreis
Während Matei gar nie in die Nähe einer Stelle kommt, scheitern viele andere obdachlose Arbeitsmigranten an einem anderen Dilemma: Wer länger als drei Monate in der Schweiz arbeiten will, braucht eine Aufenthaltsbewilligung. Diese bekommt nur, wer einen festen Wohnsitz hat. Doch dafür benötigen die Migranten ein Einkommen – und somit einen Job, den sie ohne Aufenthaltsbewilligung meist nicht erhalten.
Einer, der in dieser Endlosspirale hängt, ist Bobev Petkov. Auch er möchte seinen richtigen Namen lieber für sich behalten. In der Schweiz will der 35jährige Bulgare Geld verdienen, um in seiner Heimat ein Haus zu bauen. «Wenn möglich möchte ich auch Geld an meine Familie schicken», sagt Petkov, dessen gepflegte Erscheinung seine Obdachlosigkeit überspielt.
In Bulgarien hat Petkov für rund 600 Euro im Monat als Produktionsarbeiter bei einer Fabrik gearbeitet. Das habe allerdings kaum gereicht, um seine Wohnung zu finanzieren. Ausserdem habe er damit auch seine vier jüngeren Brüder ernähren müssen, da die Mutter jung starb. «Für eine Ausbildung blieb mir keine Zeit», sagt er.

Teufelskreis Arbeitssuche: Um in der Schweiz bleiben zu dürfen, braucht Bobev Petkov einen Job. Diesen bekäme er bei einem Gemüsebetrieb – aber nur mit gültiger Aufenthaltsbewilligung.
Die fehlende Qualifikation ist aber nicht der Grund, warum er in der Schweiz keine Arbeit findet. Und auch nicht seine glasigen Augen und dunklen Augenringe, die den Schlafmangel offenbaren. Sondern fehlende Dokumente. Ein Gemüsebetrieb aus dem Kanton Thurgau, der regelmässig für einige Monate Saisonniers anstellt, würde Petkov als Logistiker nehmen. Denn dieser verfügt über Staplerschein, Erfahrung in der Logistik und gute Deutschkenntnisse. Doch beim Bewerbungsgespräch sagt der Betriebsleiter: «Wir können dir nur Arbeit geben, wenn du eine feste Wohnadresse, Krankenkasse und Kurzaufenthaltsbewilligung besitzt.»
Genauso schreibt es das Gesetz für Arbeitende aus EU/Efta-Staaten vor – Petkov ist einer davon. Für ihn sind diese Anforderungen allerdings ein Ding der Unmöglichkeit. «Wie soll ich jemals eine Bewilligung erhalten, wenn ich keinen Arbeitsvertrag kriege?» fragt Petkov. Auch Krankenkasse und Wohnung könne er sich nicht leisten. «Die Jobsuche ist für Leute wie mich ein Teufelskreis», so der Arbeitsmigrant.
Die Betriebe könnten theoretisch helfen, etwa indem sie schriftliche Einstellungserklärungen ausstellen oder Saisonnierzimmer anmieten. Doch das tun die wenigsten. Der administrative Aufwand und das mit der Anstellung verbundene Risiko ist ihnen zu hoch.
Beim Gemüsebetrieb im Thurgau ist man vorsichtig, weil nicht nachgewiesen werden kann, wie lange sich Petkov bereits in der Schweiz aufhält – nach drei Monaten müssen Arbeitsmigranten entweder eine Bewilligung beantragen oder ausreisen. Ausserdem verfüge der Betrieb über keine freien Mitarbeiterzimmer, heisst es. «Solange Petkov nicht mit festem Wohnsitz bei einer Gemeinde gemeldet ist, sind uns die Hände gebunden», so der Betriebsleiter, der weder seinen Namen noch den seiner Firma im Artikel lesen möchte.
«Wie kann es sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt Menschen auf der Strasse schlafen, ohne Arbeit leben oder ihre Körper unfreiwillig verkaufen müssen?» Zsolt Temesvary, Sozialwissenschaftler
Seine ersten Nächte in der Schweiz verbrachte Petkov in einem einfachen Hotel. «Als ich merkte, dass die Arbeitssuche hier in der Schweiz nicht so einfach ist, musste ich auf die Strasse», sagt er. Hier ist er nach mehreren Monaten noch immer, verbringt seine Nächte in Zürcher Parkhäusern, auf Bänken oder unter Brücken. Trotz allem ist Petkov optimistisch. «Man darf die Hoffnung nie aufgeben. Gott weiss, wieso ich hier bin.»
Viele Arbeitsmigranten bleiben länger als die erlaubten drei Monate. Als «Overstayers» verlieren sie wichtige Rechte. Im Fall von Krankheit oder Unfall werden sie nur noch im Notfall behandelt, die Behandlung wird im nachhinein verrechnet. Gleichzeitig ist es den nun illegal in der Schweiz lebenden Menschen nicht mehr möglich, eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen. Allerdings ist es für die Polizei meist schwierig, das Einreisedatum nachzuvollziehen. Deswegen können Migranten, die sich zu lange hier aufhalten, nur selten bestraft oder ausgewiesen werden.
Zsolt Temesvary fordert von der Schweizer Sozialpolitik, sich mit diesem neuen sozialen Problem zu beschäftigen: «Wie kann es sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt Menschen auf der Strasse schlafen, ohne Arbeit leben oder ihre Körper unfreiwillig verkaufen müssen? Das ist eine extreme und sehr sichtbare Armut.»
Konkret schlägt der Forscher vor, mit Kohäsionsbeiträgen in den Heimatländern der Betroffenen Hilfe zu leisten. Gleichzeitig sollen in der Schweiz niederschwellige soziale Dienstleistungen ausgebaut werden. Damit meint er Integrationsprogramme und Sprachstunden, aber auch mehr Notschlafstellen, Suppenküchen oder Cafés, die für alle zugänglich sind – also auch für Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung.
Manche Politikerinnen fordern ähnliches. Die Zürcher SP-Kantonsrätin Nicola Yuste pocht einerseits auf Investitionen in die Sozialhilfe. Andererseits weist sie darauf hin, dass die Betroffenen in der Schweiz arbeiten wollen und so dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken können: «Sie werden einen Job finden, Steuern zahlen und einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Schliesslich gibt es kaum noch Schweizer, die selbst putzen und niederbezahlte Jobs verrichten wollen.» Der erste Schritt sei aber, herauszufinden, ob die bestehenden Zürcher Angebote für Obdachlose richtig ausgerichtet sind. Yuste fordert darum ein kantonales Monitoring.
Auf dem nationalen politischen Parkett haben es solche Forderungen allerdings schwer. Vor allem bürgerliche Politiker wollen auf keinen Fall Anreize für Osteuropäer setzen, in die Schweiz zu kommen. SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer sagt: «Wenn ein Unternehmen jemanden einstellt, dann kommt die Familie natürlich zu viert oder zu fünft.»
Sie sorgt sich um die Kosten, die in verschiedenen Bereichen entstehen könnten. Denn die Zuwanderung führe zu teurerem Wohnraum und höheren Steuern. Mit dieser Haltung ist sie nicht alleine: In Rekordzeit hat ihre Partei 100 000 Unterschriften für die sogenannte Nachhaltigkeitsinitiative gesammelt, die sich gegen eine 10-Millionen-Schweiz richtet und primär die Zuwanderung beschränken möchte.
Glück ist: Ein freier Container
Am Ende eines weiteren Tages auf den Strassen Zürichs fährt Matei ins Café Yucca, um dort Suppe zu essen und Wärme zu tanken. Dort bleibt er, bis der soziale Treffpunkt um 22 Uhr schliesst. Dann macht er sich auf die Suche nach einem Schlafplatz. In der Regel versucht Matei, Konflikte um Schlafplätze zu vermeiden – wenn neue Leute an seinen Platz kommen, gebe er diesen meist frei.
Heute hat er Glück: Er findet einen offenen Baucontainer, in dem noch niemand schläft. Matei breitet Matte, Schlafsack und Decke aus, liegt aber noch eine Zeitlang wach. «Vor dem Schlafen überlege ich mir immer, was gut und was schlecht war an diesem Tag und wen ich kennengelernt habe», sagt er. Wenn ihm wie heute die Motivation dafür fehle, lese er jeweils noch ein wenig in seiner Bibel.
Nach einigen Minuten versorgt Matei das Buch im vorderen Fach seines Rucksacks und rollt sich auf die Seite. Nieselregen prasselt gedämpft auf das metallene Dach des Containers, durch die offene Tür zieht kalte Luft an seinem Kopf vorbei. In vier Stunden wird er wieder aufwachen, Schlafsack und Decke zusammenpacken und weitersuchen – nach Arbeit, einer Tasche, einem ÖV-Abo. Der Himmel wird noch dunkel sein, Vögel werden noch keine zwitschern und Matei wird seine Runden durch Zürich weiterdrehen.
Die Recherche und Bilder zu dieser Reportage entstanden im Rahmen eines Projekts des Studiengangs Kommunikation und Medien mit Schwerpunkt Journalismus der ZHAW Winterthur.
Titelbild: In Zürich ist das Gassencafé Sunestube des Sozialwerks Pfarrer Sieber ein beliebter Treffpunkt für die obdachlosen Migranten.