Was macht der Hass mit dir? Diese Frage bekomme ich häufig gestellt. Gemeint ist der Hass im Netz, den ich seit Jahren regelmässig laut und in voller Wucht erlebe. Doch mich beschäftigt: Was macht der Hass mit den Fragenden, dem Publikum – mit Ihnen?
Vielleicht haben einige die vielen hasserfüllten Kommentare auf der Facebook-Seite des bref Magazins nach meinem Essay in der letzten Ausgabe gesehen. Dabei war es mitnichten mein Text, der den Hass hervorrief, denn keiner dieser Kommentare beschäftigte sich mit den Inhalten des Essays. Es war vielmehr die Tatsache, dass jemand wie ich – eine mit Kopftuch – auf der Titelseite abgebildet war. Und auch das wäre womöglich kein Problem gewesen, hätte die Redaktion über meinem Bild «Allahs rechtlose Töchter», «Die Multikulti-Lüge», «Rätsel Islam» oder ähnliches getitelt. Doch die Redaktion stellte mich weder als unterdrücktes Opfer noch als gefährliche Täterin, noch als exotische Kopftuchtragende vor – sondern als denkenden Menschen. Und genau das war der Affront: die Humanisierung eines dehumanisierten Menschen. Das störte die Kommentatoren. Das regte sie auf. Der Ausbruch einer Frau aus der Rolle, die sie ihr zugewiesen haben.
Als mich die Redaktion fragte, ob ich über meine Erfahrungen mit dem Hass schreiben könne, war ich mir unsicher. Denn der Hass verändert uns, sobald wir von ihm erfahren – nicht nur mich, die Schreibende, sondern auch das Publikum. Das Ziel der Hassenden ist nicht nur die Einschüchterung derer, die schreiben, sondern auch die Beeinflussung derer, die mitlesen: Sie.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Publikum eines Vortrags, der Ihnen gefällt. Und Sie stimmen dem, was Sie da hören, eigentlich zu. Doch neben ihnen sitzt jemand und schüttelt unentwegt den Kopf, meckert und schreit irgendwann gar dazwischen. Auch andere im Raum erheben sich – es sind nur sehr wenige Menschen, aber sie sind laut. Selbst wenn Sie den Argumenten der Schreienden nicht zustimmen: Es dauert nicht lange, bis auch Sie ins Grübeln kommen: Ja, ja, eigentlich ist das Gesagte bestreitbar. So kommt es, dass wir gemeinhin annehmen, Islam, Rassismus, Frauenrechte oder Geflüchtete seien Themen, die polarisieren und provozieren. Ich finde: Nein. Diese Themen sind nicht per se polarisierend, sie werden es erst – indem Hetze unsere Kommentarspalten flutet und auf öffentliche Debatten Einfluss nimmt. Dabei ist es ein Irrglaube zu meinen, die Kommentare würden die gesellschaftliche Meinungsvielfalt repräsentieren. In Wirklichkeit werden diese Einträge von rassistischen und rechtspopulistischen Gruppen organisiert. So erst werden rassistische, antisemistische und islamfeindliche Positionen salonfähig.
Warum aber beschäftigt mich bei der Frage nach meinem Wohlbefinden auch stets, was der Hass mit dem Publikum macht? Weil es die Reaktion des Publikums ist, die für mich, die Betroffene, schmerzvoll sein kann. Denn die blinde Wut von Hassredenden bin ich gewohnt. Ich weiss, dass diese Menschen nicht mich hassen, sondern das, was sie auf mich projizieren. Es steht eine abstrakte Projektion zwischen den Hassenden und mir. Nicht so beim Publikum – zwischen ihm und mir steht nichts. So beobachte ich, wie der Hass im Netz auch das Publikum beeinflusst. Hass verändert, was wir in dieser Gesellschaft als «normal» und «vertretbar» empfinden. Das trifft mich. Zu beobachten, wie Hass sich normalisiert, während meine Worte, meine Erscheinung zur Provokation erklärt werden. In dem Moment gewinnt der Hass. In dem Moment verliere ich.
Um Martin Luther King zu zitieren: «In the end, we will remember not the words of our enemies, but the silence of our friends.»