Um wenig wird so viel Lärm veranstaltet wie um die Stille. Sie scheint in der Kirche eines der letzten Dinge zu sein, auf die sich alle vorbehaltlos verständigen können. Die vielen «Räume der Stille» zeugen vom niedrigschwelligsten Sinnangebot der Konfessionen. Das Gotteshaus wird zum Spassbad, in dem man sich in die Ruhezone verziehen kann, ohne eine Vorstellung haben zu müssen, was sich sonst noch so abspielt. Touristen in den Kirchen machen davon oft Gebrauch. Vielleicht hoffen die Pfarrerinnen und Pfarrer, dass ein Hauch göttlicher Ruhe die Besucher streifen wird und sie wiederkommen.
Wer jedoch, wie es im Meditationsjargon so schön heisst, tatsächlich «in die Stille geht», wird dort nicht in Ruhe gelassen. Der Hineinhorch-Imperativ verursacht Stress. Was, wenn wir in uns nichts vorfinden? Und überhaupt, was ist das, die Stille? Selbst in der Natur finden wir sie nicht: Im Wald knacken Äste, es schreit der Eichelhäher, und auch die vielbeschworene Meeresstille meint nichts mehr als eine flache See mit niedrigem Wellengang. Kurz: Könnte es nicht sein, dass wir es mit der Angst zu tun bekommen, wenn es zu still ist? Wer in die absolut schalldichte und stockdunkle «Camera silens» eingesperrt wird, endet bekanntlich im Wahnsinn. Nicht umsonst spricht man mit einem leichten Grausen von Totenstille.
Kaum verwunderlich ist auch, dass in der biblischen Offenbarung eines der schrecklichsten Ereignisse ebenfalls der Stille entsprang. Nachdem das Lamm Gottes das siebte Sigel brach, wurde es eine halbe Stunde absolut still – worauf Donner, Blitz und Erdbeben folgten. Die Stille als Drohung muss man erst mal aushalten, sie ist nicht einladend.
In diesem Leben werde ich kein Stille-Profi mehr, obwohl ich mich doch so oft darin übte. Weder die Stimme des Herrn sprach zu mir, noch konnte ich das Flügelrauschen eines Engels hören. Schon gar nicht vernahm ich den Hall meiner Seele. Wohl auch deshalb, weil er sowieso übertönt würde durch das Zikadengezirpe in meinem linken Ohr, das mich seit einem Hörsturz nicht verlassen will. Seitdem befindet sich mein Kopf in einem akustischen Dauer-Toskana-Urlaub.
Und doch ist auch mir die Stille immer wieder ein willkommener Gast. Nicht wenn sie mir als Angebot bereitgestellt wird, sondern sie sich ganz unvermutet in mein Leben gesellt. Zuletzt war das der Fall, als ich einem Freund beim Umzug geholfen habe und wir am Ende erschöpft und still beieinanderstanden. Diese Zufriedenheit nach getaner Arbeit kommt ganz ohne Worte aus. Sie ist viel mehr als die Abwesenheit von Lärm: Es herrscht ein grosses Einvernehmen, ein Moment des Friedens.
BILD: QUAGGA MEDIA AG