Wer im Sommer die gemeine Wespe töte, der habe ihren Beifall, schreibt Sibylle Lewitscharoff. Vom Töten und Getötetwerden in der Welt der Insekten.
Das geistige Leben funktioniert anders als das wirkliche. Im wirklichen bin ich insektenscheu, einige Spezies hasse ich sogar mit Inbrunst, insbesondere die gemeine Wespe, Vespula germanica vulgaris, die sommers draussen um unsere Gasthaustische fliegt und einem das Leben zur Hölle macht. Zwar klingt ihr lateinischer Name trotz des vulgären Zusatzes erhaben, aber das ist auch schon alles in puncto Erhabenheit. Da hilft es auch nicht weiter, wenn so mancher Insektenliebhaber sie als «schnittige Fleischfresser» bezeichnet.
Eisern bleibe ich dabei: Für mich sind diese Kurzkopfviecher fliegende Nazis, wer immer sie tötet, hat meinen Beifall, davon kann mich auch der Aufschrei der versammelten Naturschützer nicht abbringen. Moskitos sind natürlich ebenfalls ausserordentlich lästig, doch gegen sie kann man sich einigermassen schützen. Aber vor Wespen habe ich eine Heidenangst und werde bei ihrem Anblick hysterisch.
Vor Spinnen wiederum fürchte ich mich nicht. Finde ich eine in der Wohnung, bin ich versucht, ein bisschen mit ihr zu reden, und praktiziere sie dann zum Fenster hinaus, ohne sie zu verletzen. Auch die gemeine Stubenfliege zählt nicht zu meinen Freundinnen. Ich habe gelernt, sie zielsicher zu töten oder zu verscheuchen.
Nun aber zum Entzücken, das ein Insekt in mir erregt – die Florfliege. Sie trägt auch den Namen «Goldauge», ein Name, der sie zu Recht ziert, denn das schmale, zarte Fluggeschöpf ist von hinreissender Schönheit. Nie käme es mir in den Sinn, dieses filigrane Wesen zu erschlagen, im Gegenteil, ich hoffe, dass es ein Weilchen bei mir in der Wohnung bleibt und nicht allzu schnell wieder davonfliegt. Die langen, fragilen Flügel der Florfliege sind von stupender Schönheit – durchsichtig, von einem feinen Muster aus Äderchen durchzogen, wirken sie wie ätherische Wundergebilde aus der Welt der Elfen.
Tja, natürlich ist nicht alles an dem schönen Insekt nur ätherisch. Fressen muss es ja auch. Seine Mundwerkzeuge sind stark in puncto Beisskraft, das ist bei vielen Insekten der Fall. Die Larve der Fliege kann sich wie ein Vampir in Wollläuse einbohren und sie genüsslich aussaugen. Diese Läuse scheiden einen klebrigen Seim aus und werden wiederum von Ameisen als gut gepflegte Kolonien auf Pflanzen ausgesetzt und bewacht, um sie zu melken. Deshalb ist das Erbeuten der offenbar sehr schmackhaften süsslichen Winzlinge für die Larve der Florfliege nicht gefahrlos.
Im Buch «Die wunderbare Welt der Insekten» von Bart Rossel und Medy Oberendorf wird das Fressbiest aus gutem Grund als trickreiche Schurkin bezeichnet: «Die hungrige Florfliegenlarve sucht sich darum eine Wolllaus am Rand der Herde und rupft sie mit ihren einwärts gebogenen Zangen kahl. Die erbeutete Wolle packt sie auf den eigenen Rücken, wo sie dank kleiner Borsten, die wie Klettband wirken, haften bleibt. So ist die Larve kaum mehr von einer Wolllaus zu unterscheiden, kann sich unter die Herde mischen und so viele Opfer aussaugen, wie sie will. Ein richtiger Wolf im Schafspelz!»
Sieht man sich Fotos von derart raffiniert getarnten Larven an, denkt man an kleine Wollböppel, die von der Pflanze selbst hervorgebracht werden, was natürlich irreführend ist. Nun, ich wünsche den versammelten «Chrysopidae» dieser Welt Glückauf zum fröhlichen Jagen, sie mögen sich vermehren und so viele Läuse aussaugen, wie sie nur können! Fressen und Gefressenwerden ist zwar schlimm, doch haben die Phänomene bisweilen einen eigentümlich trickreichen Charme.