Pandemiezeit heisst auch mehr Zeit fürs Lesen von Büchern. Ein Blick auf die vielen deutschen Übersetzungen von Dantes «Divinia Commedia» lohne sich da, schreibt Sibylle Lewitscharoff – und nennt ihre Favoriten.
Viele Menschen befinden sich in der ausserordentlichen Situation, dass sie gerade wesentlich mehr Zeit zur Verfügung haben als sonst. Was also tun? Herumsitzen und sich von schlechter Laune regieren lassen? Keine gute Idee. Falls Sie das Werk noch nicht kennen sollten, hätte ich eine Empfehlung. Beschaffen Sie sich Dantes Meisterwerk, die «Divina Commedia».
Vermutlich sind etliche von Ihnen im Italienischen nicht so gut zuhause, dass sie das Buch im Original lesen könnten. Dann besorgen Sie sich bitte die Übersetzung von Philalethes, dem König Johann von Sachsen, der Mitte des 19. Jahrhunderts eine fulminante Übersetzung geliefert hat, die bis heute Gültigkeit besitzt. In seinem Schloss in Dresden lud Johann zu den ersten Dante-Tagungen über die «Commedia» ein; er versuchte, an Schriften aus der Dante-Zeit heranzukommen, um ein kleines Museum aufzubauen.
Im Übersetzen der «Commedia» führt die deutsche Sprache die Weltrangliste an. Es gibt sage und schreibe über fünfzig Komplettübersetzungen und siebenundzwanzig Teilübersetzungen, darunter einige herausragende. Im 20. Jahrhundert hagelte es dann weitere Übertragungen. Berühmt ist die Teilübersetzung von Stefan George, gehüllt in ein samtenes Dunkeldeutsch – sie klingt hervorragend, wenn man bereit ist, einem Übersetzer von Gedichten grösstmögliche Freiheit zuzugestehen, um ein fremdes Werk gekonnt in die eigene Sprache zu schmuggeln. George trug die Verse Dantes wie ein Priester in abgedunkelten Räumen vor, erleuchtet von einer einzigen Kerze, die auf seinem Tisch stand.
Hochinteressant, aber ziemlich irrwitzig ist die Übersetzung von Rudolf Borchardt in einem erfundenen Deutsch, die sich an provenzalischen Klängen orientiert; zugleich versuchte der Dichter Borchardt, den Vokalreigen des Italienischen ins Deutsche zu übertragen. Die Übersetzung klingt wunderbar, bisweilen recht eigenartig, vor allem muss man die «Commedia» kennen, um Borchardts Übersetzung wirklich zu verstehen.
Borchardt lebte in den dreissiger Jahren in Oberitalien. Ihm gelang es, eine Audienz bei Mussolini in Rom zu erwirken, um dem Duce seine Übersetzung zu überreichen. Die Szene ist von hoher Komik. Als Mussolini die schwere Diktatorenfaust auf das Buch niedersenkte, war Borchardt davon überzeugt, der Duce habe ad hoc alles, aber auch wirklich alles begriffen, was in dem Buch stand (und das bei einer Übersetzung, bei der selbst gebildete Deutsche sich schwer damit tun, in der Lektüre glücklich bis ans Ende zu gelangen).
Hochinteressant ist auch die Wirkung von Dantes «Commedia» während der russischen Verfolgung unter Stalin, in den deutschen Konzentrationslagern und in einigen Kriegsgefangenenlagern der deutschen Wehrmacht in Italien. Ossip Mandelstam war ein begnadeter Dante-Kenner, der die «Commedia» im Original lesen konnte und in hoher Not herzergreifend darüber schrieb. Primo Levis Aufzeichnungen, Dante betreffend, sind in Italien bekannt. Kurios wirken manche Aufzeichnungen aus den von Deutschen eingerichteten Kriegsgefangenenlagern in Italien.
So manch gebildeter Professor hielt dort bei gut Wetter nach freier Rezitation von Dante-Versen regelrechte Kolloquien für seine Mitgefangenen ab. Natürlich kam dabei hauptsächlich das Inferno zur Sprache. Die schwer leidenden Menschen sahen sich selbst schuldlos in eine Hölle versetzt und widmeten sich einem Text, der von extremen körperlichen Zumutungen handelt – ein einzigartiger Vorgang in der Geschichte der Literatur. Lassen Sie sich von den Greueln der Hölle nicht zu sehr schockieren und greifen Sie zu dem Buch. Sie werden einen einzigartigen Gewinn davontragen.
Pandemiezeit heisst auch mehr Zeit fürs Lesen von Büchern. Ein Blick auf die vielen deutschen Übersetzungen von Dantes «Divinia Commedia» lohne sich da, schreibt Sibylle Lewitscharoff – und nennt ihre Favoriten.