Glauben ist vor allem eines: eine Wiederholungstat, die mit der Übung wächst, schreibt Nora Gomringer.
Wie man verblüfft, so glänzt man. Diese Weisheit habe ich mir, achtjährig wie ich war, einfahren lassen, als ich feststellte, dass ein geschriebenes und gewinnend vorgetragenes Gedicht meine Klavierlehrerin Frau Klenske vom Spiel, von der Lektion und meinen mangelnden Fertigkeiten am Instrument gänzlich abzulenken vermochte. Liebevoll und lobend, wie es ihre Art war, spiegelte sie mir eine Gleichwertigkeit der Künste und ihrer Produkte, erlaubte es meinen ersten Zeilen, als ebenbürtig in ihrem Urteil neben Debussys Etüden zu stehen, denn Etüden – im wahrsten Wortsinne Übungen – waren schliesslich auch meine Ergüsse.
Nur war damals noch nicht ganz klar, wohin die Übungen führen sollten und würden. Insofern waren es Versuche. Die beiden Begriffe ähneln sich scheinbar. Ein Versuch kann aber eine Unternehmung «ins Blaue» bedeuten, ohne ein a priori davor oder ein quod erat demonstrandum dahinter. Ein Versuch kann begrifflich aber auch eine Art Abarbeitung an einem bereits bestehenden Thema sein, wenn etwa Autoren davon sprechen, einen Versuch zu wagen, ganz neu von der Liebe, der Heimat, den Verzweiflungen schreiben zu wollen. Hehre Ziele zu erreichen ist eine Sache des Wagens und Versuchens.
Elemente der Gelegenheit und des Glücks scheinen beteiligt, ebenso mag mancher Schicksal und Gott auf den Plan rufen. Eine Übung ist eine manuelle oder geistige Bewegung, ist eine Wiederholungstat, die – mit hoffnungsvoller Einstellung und gezielter Absicht ausgeübt – Erfolg à la perfection verspricht. Üben und Bemühen teilen nicht nur ihre Umlaute. Auch durch Übung kann ein hehres Ziel erreicht werden. Im Glauben gibt es kein Versuchen, aber viel Üben. Natürlich kann man seine spirituelle Nase mal in verschiedene Richtungen halten und sehen, ob einem der Buddhismus zusagt, einen der Koran berührt, das Christentun befriedigt, die Thora Gedanken in einem zu Schwingen bringt, es weniger Üben bedeutet, sich den Mormonen anzuschliessen, aber das ist ein Versuchen, wie man über die Jahre versucht, bestimmte Kleidungs- oder Tanzstile für sich zu ergründen.
Es ist ein Abfragen der Geschmacksnerven. Das Üben beginnt, sobald man sich festgelegt, eine Entscheidung getroffen hat und willens ist, mit ihrer Konsequenz zu leben. Das Üben ist ein ermüdender, ein Motivation fordernder Vorgang, der nicht leichtfällt. Das ist auch ein bisschen die Crux und hernach das Geschenk jeder Übung, denn für jede Übung wird man nicht immer unmittelbar, aber durchaus mit der Zeit belohnt. Das Üben bedarf grösserer Quantitäten an Geduld.
Und das Üben im Glauben erst recht, denn spürbar werden Wunder allzu selten, und würde man alles auf sie ausrichten, so wäre das quid pro quo so unerfreulich frustrierend, dass viele Menschen das Glauben wohl aufgeben würden. Bei einer Lesung aus meinem neuen «Gottesanbieterin»-Buch wurde ich nach dem Auftritt dezidiert nach der Glaubenspraxis in meinem Leben gefragt: «Wie glauben Sie, Frau Gomringer?» Daraufhin habe ich erzählt, dass ich einfach ständig übe, die Übung an sich wahrscheinlich mein Glauben ist und das Ziel der Übung dann hinter meinen geistigen Kapazitäten liegt.
Dass ich das Glauben als ein Sprechen, ein inneres wie äusseres, betreibe, dass ich meinen Gesprächspartner dabei manchmal fest im Blick habe, aber meistens nicht und dass ich das akzeptiert habe und auch sonst gut mit Fernbeziehungen klarkomme. Meine Enttäuschungsresilienz ist gross, meine Gelassenheit aber auch. Vorausgesetzt – ich bin gut in Übung. Da gilt die alte Wahrheit: Wer rastet, der rostet. Ob man ein Gelenk ist oder ein Mensch. Aber was ist ein Mensch anderes als ein Gelenk zwischen Himmel und Erde, Tier und Natur, Schöpfung und Schöpfer?