Was tun, wenn Unrecht und Hass in der Gesellschaft die Oberhand gewinnen? Diese Frage stellte ich mir vor bald zwei Jahren, als mit der AfD zum erstenmal seit der Gründung der Bundesrepublik eine offen rassistische und rechtspopulistische Partei in den Bundestag einzog.
Ich haderte. Und fand Trost in den Worten des jüdischen Philosophen und Rabbiners Abraham Joshua Heschel, den ich damals hier in einer Kolumne zitierte: «Ein Mensch stirbt, wenn er aufhört, überrascht zu sein. Wenn ich etwas Böses sehe, weigere ich mich, es als normal anzusehen und mich daran zu gewöhnen.» Heschel rief dazu auf, unangepasst und widerständig zu bleiben – und das Unrecht niemals zu akzeptieren. Denn nur so behalte der Mensch seine Hoffnung und seine Zuversicht.
Doch sosehr seine Worte mich damals ermutigten, so schwer kam mir die se Aufgabe vor: Wie bitte sollte ich unangepasst bleiben, dem Unrecht Widerstand leisten – und dabei mit Freude durch das Leben gehen? Persönliches Glück empfinden? Ich fand keine Antwort.
Ein Jahr verging – und ich hielt es inzwischen für nahezu unmöglich. Rechte und rassistische Thesen wurden mehr und mehr salonfähig, die offene Niedertracht schien immer weniger auf Überraschung zu stossen. Meine Hoffnung schwand. So formulierte ich an dieser Stelle eine quälende Frage: «Wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Zukunft so ungewiss, die Ungewissheit wiederum so furchterregend ist, dass es besser wäre, ohne viel Aufsehen Deutschland, meine Heimat, zu verlassen?»
Das aktive Nicht-Gewöhnen an das Unrecht, dieser konstante Widerstand drohte zu erodieren. Und doch zwang ich mich weiterhin, mir Gedanken über eine ideale Zukunft zu machen, in der ich leben wollen würde – statt mich mit einem Leben zufrieden zu geben, wie es eine angst und hasserfüllte Gesellschaft für mich vorsah. Ich zwang mich, mein Denken zu trainieren – weg vom reinen Überleben, hin zum Träumen und zu Visionen; weg von einer politischen Gegenwart, der ich aus geliefert bin, hin zu einem Heute und Morgen, wie ich sie selber formen will.
Ein weiteres Jahr ist seither vergangen – und ich habe die Antwort auf die Frage gefunden, wie Widerstand und Glück zusammengehen können: Es ist die Hoffnung, von der bereits Rabbi Heschel schrieb. Denn nur wer sich nicht an Unrecht gewöhnt, kann hoffen und zuversichtlich sein. Hoffnung ist das wertvollste im Kampf für eine bessere Welt. Der erste Schritt: Man muss sich eine bessere Welt vorstellen können, um sich für sie einzusetzen.
Heute erleben wir in Österreich, Deutschland, in den USA, in der Türkei und in vielen Teilen der westlichen Welt die Rebellion von Menschen, die nicht bereit sind, sich an Faschismus, Rassismus, Hass, Hetze, Unrecht, Gewalt, die Ausbeutung der Natur, der Frauen, der Schwachen, der Alten, der Stimmlosen, der Zukunft zu gewöhnen. Es ist eine Rebellion von Menschen, die nicht nur passiv Widerstand leisten, sondern die ungeduldig sind, die Visionen formulieren und die bereit sind, die Gesellschaft anders zu gestalten. Es ist eine Rebellion der Hoffnungsvollen.
Diese Rebellion erweckt nun auch in anderen Menschen das Bewusstsein dafür, dass es anders gehen kann – und muss. Seitdem ich diese Kolumne hier führe, ist es das erste Mal, dass sich meine Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Welt nicht naiv, sondern realistisch an fühlt. Dass ich erahnen kann, welche Früchte die Hoffnung trägt.
Das ist ein schöner Moment, um mich mit Zuversicht von Ihnen zu verabschieden. Diese Kolumne war mir in den letzten zwei Jahren ein Zufluchtsort. Ein Raum, in dem ich meine Gedanken und Beobachtungen, aber auch meine Sorgen und Ängste teilen durfte. Ein Raum, der mir erlaubte, die Fragen zu stellen, die mich bewegten, in dem ich Antworten fand – und in dem ich Hoffnung schöpfen konnte. Dafür danke ich Ihnen. Es war mir eine Freude, mich gemeinsam mit Ihnen nicht an das Unrecht zu gewöhnen.