Du sollst das Werk nicht mit dem Autor verwechseln, schreibt Sibylle Lewitscharoff und verteidigt damit Nobelpreisträger Peter Handke.
Hohe Wellen schlägt immer noch der Skandal um den Nobelpreis für Peter Handke. Laut und giftig haben sich viele Kommentatoren zu Wort gemeldet, die noch kein einziges Buch von ihm gelesen haben. Sich in vorderster Front als ein Mensch fühlen zu dürfen, der unbestechlich und mutig das Richtige sagt, ist besonders schön, wenn es gar nichts kostet und dafür noch ein nettes Augenblicksrühmchen als Beifang abfällt. Kenntnis der Werke des Verurteilten ist dafür gar nicht nötig.
Nun aber zur Sache! Peter Handke ist ein Schriftsteller, der eine Vielzahl überragend guter Bücher geschrieben hat, ich greife nur wenige heraus: Wunschloses Unglück über den Selbsttod seiner Mutter – zart, ergreifend und exzellent geschrieben. Von hinreissender Komik sind die vier schmalen Bände Versuch über die Jukebox, Versuch über den geglückten Tag, Versuch über die Müdigkeit, Versuch über den Stillen Ort.
Der freischwebende Humor, die Heiterkeit, die Brillanz der Sätze, die darin ein winziges Panoptikum der Ungeschicklichkeit und Wonnen alltäglicher Verrichtungen aufführen, sind hinreissend. Als präziser Beobachter von Landschaften, von Tieren und Pflanzen, steht Peter Handke in der Tradition Adalbert Stifters, er kann es in puncto geschärften Blicks fürs Detail aber auch locker mit Francis Ponge aufnehmen. Der Dichter hat es sogar geschafft, dem Rasenstück eines Autobahndreiecks zu unerwarteter Dignität zu verhelfen. Ich habe alle Bücher von ihm gelesen; naturgemäss gerate ich bei manchen in helleres Entzücken als bei dem einen oder anderen. Enttäuscht war ich nie. Dafür schreibt der Bursche einfach zu gut.
Einmal bin ich ihm persönlich begegnet, weil ich in jungen Jahren als Regieassistentin für einen Dokumentarfilm über ihn und den mit ihm befreundeten Schriftsteller Hermann Lenz gearbeitet habe. Der Toningenieur wies mich an, Handke zu sagen, dass er seine Arme nicht bewegen dürfe, weil sein Anorak dabei quietsche. Dem Auftrag bin ich höflich nachgekommen. Die Schimpfkanonade, die sofort über mich hereinbrach, ist unvergessen.
Arschloch und Drecksau waren noch die nettesten Worte. Hermann Lenz hat mich gerettet, indem er seine Hand auf Handkes Arm legte und in seinem beruhigenden Schwäbisch sagte: «Ha, Peter, was machsch du da, des isch so a gscheits Mädle!» Kurzum, ich habe guten Grund, den Kerl nicht zu mögen. Der schockierende Vorfall hat mich aber nicht davon abgehalten, weiter seine Bücher zu lesen.
In der Jugoslawienfrage ist ein Sturm über Peter Handke hereingebrochen, der nun wieder aufgerührt wird. Ich teile die politischen Ansichten des Angegriffenen nicht. Den Schlächter Milosevic mit Besuch an dessen Grab zu ehren war mehr als nur eine kleine Dummheit. Aber die geschichtlich äusserst komplexen Balkanverhältnisse so simpel zu interpretieren, wie es viele politische Kommentatoren damals ausschliesslich zuungunsten der Serben taten, ging mir gegen den Strich.
Da mein Vater Bulgare war, weiss ich ein wenig mehr über diese zutiefst spannungsgeladene und oftmals verheerte Region. Auch wenn es Peter Handke mit seiner Parteinahme für die Serben aus privaten Herkunftsgründen gewaltig übertrieb, kann ich einiges daran verstehen. Dichter sind in aller Regel nicht sonderlich subtil, geht es um genaue und unparteiische politische Analysen. Dem Mann daraus einen Strick zu drehen, der seine hochmögenden Werke allesamt erwürgt, ist nicht hinzunehmen. Geht man mit derartiger Beckmesserei an die Biografie eines Schriftstellers heran, um seine Werke zu beschädigen, entfallen zwei Drittel des erstklassigen literarischen Kanons.
Deshalb und überhaupt verneige ich mich vor Peter Handke, der – um im Sinne von Hermann Lenz ein schwäbisches Lobwort aufzugreifen – ein sagenhaftes Käpsele ist!