Sibylle Lewitscharoff

Das Schöne, Wahre und Gute hat es heute schwer

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Freitag, 26. Juli 2019

Friedrich Schillers Lob des Guten, Wahren und Schönen wirkt heute befremdlich. Es wird eher belächelt als ernst genommen. Dabei wären wir gut beraten, seine Überlegungen bezüglich dieser hochmögenden Trias ernst zu nehmen.

Sie sind vollkommen frei von Kitsch, haben ihre Wurzel natürlich in der christlichen Tradition, sind aber mit Blick auf das gesellige, bürgerliche Leben formuliert, ohne dass ein kirchlicher Predigtton aufkäme, der den Zeigefinger erhöbe. Die natürliche Haltung der Anmut spielt dabei eine grosse Rolle, wobei Anmut traditionell etwas stärker in Bezug auf Frauen ins Spiel kommt als bezüglich der Männer. Anmut zeigt sich freundlich, auffangsam, frei von den zerstö­rerischen Spielen des Egoismus. Sie ist gepaart mit freimütiger Herzlichkeit, die ihre wahre Grösse nicht zur Schau stellt.

Als Zögling der Militärakademie auf Schloss Solitude war Friedrich Schiller ein harter Knochen, dem man eigentlich nicht zutraut, dass er für die gesittete Nachgiebigkeit, die freundliche Schmieg­samkeit der Anmut, allzu viel übrig gehabt hätte. Er nahm Beschwerlichkeiten und Gefahren auf sich, was seine frühe Flucht aus Stuttgart beweist. Aus der herzoglich-württembergischen Armee als Regimentsmedicus zu fliehen war durchaus keine Kleinigkeit, und der schwäbische Herzog setzte auch alle Hebel in Bewegung, um den Flüchtling wieder einzufangen. Sein späterer Weggefährte Johann Wolfgang von Goethe hat sich solchen Gefährdungen nie ausgesetzt.

Die Zeit, in der die Trias vom Guten, Wahren und Schönen als Idealbild in einigen Teilen Europas ihre Triumphe feiern konnte, ist allerdings gründlich vergangen. Zwei Weltkriege, das beispiellose Ver­brechen, das an den Juden begangen wurde, der Tod vieler Menschen, die als Soldaten fielen oder als Zivilisten unter Schutt und Asche begraben wurden, haben den psychischen Haushalt der gesamten Bevölkerung Europas erschüttert. Auch auf anderen Kontinenten hat das Gemetzel tragische Spuren hinterlassen.

Und heute? Die Zerstörungsorgien der Weltkriege wirken in den jüngeren Generationen nicht mehr so drastisch fort wie bei ihren Eltern und Grosseltern, obwohl man die verborgenen Spuren, die diese Katastrophen in die Hirne gekratzt haben, nicht unterschätzen sollte. Die heutigen Ängste sind auf die alten gleichsam aufgepfropft. Der psychische Gewitter­himmel über uns ist mit neuen, erdgemachten Bedrohungen verhängt, die schwer zu bewältigen sind. Das moderne Berufsleben, unkalkulierbare, angst­erregende Techniken, Karriereangst, Krisenangst, Angst vor der Zerstörung der Natur und damit der Lebensgrundlage von allem, was lebt, und nicht zuletzt: die gewissenlos agierenden Präsidenten von gleich drei wichtigen Staaten – den USA, China und Russland – ruinieren unser Vertrauen.

Die Erde scheint zu einem Schreckensort geschrumpft zu sein, weil wir von allen Krisenherden, die irgendwo auflodern, sofort erfahren, ohne selbst Einfluss darauf nehmen zu können. Ein Vertrauen darin, dass wir uns auf die vernünftige, zum Guten neigende Bild­samkeit des Menschen, gepaart mit einem Schönheits­begehren, das zarten Sinn bekundet, verlassen könnten, ist ge­­schwunden. Selbst aus dem Mund eines demokratischen Politikers ist die Wahrheit höchst selten zu vernehmen. Entweder wird glatt gelogen oder seifig herumgeschwätzt, um die eigene Ratlosigkeit zu verbergen. Den Tyrannen war das Gute, Wahre und Schöne, das nicht ausschliesslich der eigenen Repräsentation diente, immer schon fremd.

So manches Mal will mir die Schikane und Verfolgung, die der verehrte Friedrich Schiller unter seinem schwäbischen Landesherrn erleiden musste, harmlos vorkommen – gemessen an dem, was Menschen heutzutage in scheinbar zivilisierten Staaten angetan wird.

  • N° 13/2019

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