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Das Gebet

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Freitag, 06. Oktober 2023

Auf einem Bahnsteig in New York hatte der Künstler Oliver Sturm 1999 eine Idee, die ihm nach eigenen Worten der Himmel geschenkt hatte: ein Gebetomat. Er ähnelt den Fotoautomaten, die man zum Beispiel von Einkaufszentren kennt. Über Lautsprecher können per Knopfdruck 300 Gebete in 65 Sprachen abgerufen werden. 2008 wurde der erste seiner Art in Karlsruhe aufgestellt, mittlerweile findet man sie auf Flughäfen, in Kirchengemeinden, auf Christentreffen. Mich erinnert diese münzbetriebene Maschine an die mittelalterlichen Ablassforderungen katholischer Mönche: «Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.»

Die Gebetskiste mag nett gemeint sein – spirituelle Erbauung to go, das Gehör schärfen für den Klang anderer Weltreligionen. Am Wesen des Gebetes führt diese Aktion aber genauso vorbei, als würde man sich mit einem Gebet an Gott wenden, das mit künstlicher Intelligenz generiert wurde.

Beten heisst, mit Gott in eine Beziehung zu treten. Manche nennen es Gespräch. Für mich war der Begriff schon als Konfirmand irreführend, weil in einem Dialog doch eigentlich zwei reden sollten und nicht einer nur zuhört. Wir kennen diese Verunsicherung von unseren Mobiltelefonen, wenn das Gegenüber länger schweigt und wir besorgt in den Hörer fragen: «Bist du noch da?» Weil wir argwöhnen, dass die Verbindung unterbrochen wurde.

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