Auf einem Bahnsteig in New York hatte der Künstler Oliver Sturm 1999 eine Idee, die ihm nach eigenen Worten der Himmel geschenkt hatte: ein Gebetomat. Er ähnelt den Fotoautomaten, die man zum Beispiel von Einkaufszentren kennt. Über Lautsprecher können per Knopfdruck 300 Gebete in 65 Sprachen abgerufen werden. 2008 wurde der erste seiner Art in Karlsruhe aufgestellt, mittlerweile findet man sie auf Flughäfen, in Kirchengemeinden, auf Christentreffen. Mich erinnert diese münzbetriebene Maschine an die mittelalterlichen Ablassforderungen katholischer Mönche: «Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.»
Die Gebetskiste mag nett gemeint sein – spirituelle Erbauung to go, das Gehör schärfen für den Klang anderer Weltreligionen. Am Wesen des Gebetes führt diese Aktion aber genauso vorbei, als würde man sich mit einem Gebet an Gott wenden, das mit künstlicher Intelligenz generiert wurde.
Beten heisst, mit Gott in eine Beziehung zu treten. Manche nennen es Gespräch. Für mich war der Begriff schon als Konfirmand irreführend, weil in einem Dialog doch eigentlich zwei reden sollten und nicht einer nur zuhört. Wir kennen diese Verunsicherung von unseren Mobiltelefonen, wenn das Gegenüber länger schweigt und wir besorgt in den Hörer fragen: «Bist du noch da?» Weil wir argwöhnen, dass die Verbindung unterbrochen wurde.
Doch beim Gebet geht es genau darum: Dass wir Gott über unseren Hörsinn erfahren. Sein Schweigen wird dann zu einer ungeheuer weiten Stille, in der wir Gottes Gegenwart spüren. Aus diesem Echoraum unseres Vertrauens gewinnen wir die Wirkung des Gebetes. Ich mache den «Erfolg» eines Gebetes nicht davon abhängig, ob es irgendwelche Wünsche von mir Wirklichkeit werden lässt.
Gebete gibt es in vielen Formen und Formeln. Manchmal wende ich mich mit einer Frage an Gott, die meiner Art zu reden entspricht. In Mundart, mal ernst, mal fröhlich, mal lässig, als würfe ich einem Freund ein paar Sprachbrocken zu und er verstünde mich.
In Gefahr und grösster Not aber bin ich froh, dass es die grossen alten Gebete gibt, die schon unseren Vorfahren Halt gegeben haben. Dann fühle ich mich eingebunden in eine Gemeinde, als Teil einer Gemeinschaft, die mir im Gebet verheisst: es ist noch immer gut gegangen. In einer Welt, in der wir von morgens bis abends mit Informationen überschüttet und Worte nur noch in Datenmengen gemessen werden, wird das kleine, leise Gebet oft unterschätzt. Gott möchte nicht zugetextet werden. Er möchte stattdessen, dass wir ihn er-hören.