Linder liest

Das Dreieck des Glücks

Unser Kolumnist hat gelesen, wo die beste Gemeinde der Schweiz liegt. Ob er jemals dort wohnen würde?
Die Seite wurde Ihrer Lesezeichenseite hinzugefügt. Klicken Sie auf das Menüsymbol, um alle Ihre Lesezeichen anzuzeigen. Die Seite wurde von Ihrer Lesezeichenseite entfernt.
Autor: Lukas Linder
Freitag, 11. Oktober 2024

Warum lebe ich eigentlich immer noch in der Stadt? Warum bin ich nicht längst aufs Land gezogen? Nach Meggen, beispielweise. Laut dem neuesten Ranking des «Handelsblatts» ist die Gemeinde im Kanton Luzern die beste der Schweiz. Wie die Macher der Studie voller Stolz erklären, flossen nicht weniger als 51 Faktoren in die Beurteilungen ein, darunter so subtile wie der Wortschatz der Bevölkerung oder die Frequenz von Hundekot auf der Strasse. Die wichtigsten Parameter für eine Topklassierung sind aber tiefe Steuern, die Nähe zum Zentrum und ein See, wie Studienautor Donato Scognamiglio berichtet. Das sei sozusagen das Dreieck des Glücks.

Tatsächlich hat der Mann eine uralte Sehnsucht des Menschen erfüllt. Mit seiner Methode ist das Glück nicht nur messbar, sondern auch lokalisierbar. Das erinnert an die Legende vom Schlaraffenland, jenem mythischen Ort, der nur zu erreichen ist, indem man sich durch einen Berg aus süssem Hirsebrei frisst.

Nun, ganz so fordernd ist der Weg nach Meggen nicht. Es genügt, dass ich in Zürich in den Zug steige, und eine Stunde später bin ich schon im Paradies. Als Stadtbewohner bin ich jedoch viel zu deprimiert für so eine Reise. Zürich rangiert auf Platz 54, Basel gar an 486. Stelle. Es ist ein Wunder, dass die Menschen dort überhaupt noch am Leben sind.

Daher beschränke ich mich auf eine Recherche im Internet. Dort finde ich unzählige Bilder von Schloss Meggenhorn, das wie ein weisser Traum über dem Vierwaldstättersee thront. Menschen sind schwieriger zu finden. Schliesslich stosse ich auf eine Aufnahme des Gemeinderats, der genauso unbeholfen in die Kamera grinst wie in allen anderen Schweizer Gemeinden auch.

In der Mitte entdecke ich die neu gewählte Gemeindepräsidentin, die in der Zeitung mit dem denkwürdigen Satz zitiert wird: «In Meggen läuft man durch das Dorf und wird auf der Strasse gegrüsst.» In der Grossstadt grüssen einen die Passanten tatsächlich längst nicht mehr, da sie viel zu sehr mit ihren Schussverletzungen beschäftigt sind.

Auf der Gemeindehomepage beschreibt sich der Ort wie folgt: «Wohnlich, sympathisch, attraktiv und innovativ: Das ist Meggen, das Dorf mit dem Charme eines idyllischen Seeortes, wo sich die Offenheit gegenüber der Modernität mit der Herzlichkeit einer lebendigen Gemeinschaft vereint.»

Auf «zentralplus» lese ich dann die Glosse eines ortskundigen Journalisten: Seeufer fast vollständig in privatem Besitz, eine 2,5-Zimmer-Wohnung mietet man ab 3000 Franken im Monat, und die Hauptstrasse präsentiert sich als architektonischer Stilmix aus Villen, mit denen die Einwohner sich selber ein Denkmal gesetzt haben.

Die Erkenntnis ist also denkbar langweilig: Meggen ist einfach ein Ort, wo die Reichen unter sich bleiben. Und vermutlich ist es ja wirklich so, dass Vermögende glücklicher oder zumindest zufriedener sind: Sie sind von vielen Sorgen befreit, können ihre Träume verwirklichen und leben länger und gesünder, da sie sich eine bessere medizinische Versorgung leisten können. Das Kontrastpaar arm / glücklich versus reich / verbittert ist ein Klischee, das erfunden wurde, um jene zu trösten, die sonst nichts haben.

Wenn man aber die Schlaraffenlandbücher zur Hand nimmt, sieht man, wie sehr sich unsere Vorstellung von Glück seit jener Zeit verändert hat. Beim Schlaraffenland handelt es sich um ein uraltes Konzept, das über Jahrhunderte in unzähligen Liedern und Gedichten besungen wurde – von einer Gesellschaft, in der Mangel an der Tagesordnung war. Sie träumte vom Überfluss, warnte aber gleichzeitig davor, da man sich ihn ja sowieso nicht leisten konnte.

Heute werden keine Schlaraffenlandbücher mehr produziert. Wir leben bereits im Überfluss, und unser Glück besteht in der Vorstellung, dass wir dabei ungestört bleiben. Darum ist Meggen unsere beste Gemeinde und ein Sinnbild des Landes: Der süsse Brei wurde privatisiert, um zu verhindern, dass sich irgendwelche Spitzbuben zu uns hineinfressen können. 51 Faktoren können nicht in die Irre führen.

  • Oh My God

    N° 9/2024

    CHF14.00 inkl. 2.6% MwSt.
    In den Warenkorb