Linder liest

Ein Traum im Grünen

Unser Kolumnist hat sich in seiner zweiten Heimat Polen inzwischen gut eingelebt. Nur etwas fehlte zu seinem Glück.
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Autor: Lukas Linder
Donnerstag, 06. März 2025

Wir haben ein Grundstück gekauft. In Polen, wo ich, wie Leser dieser Kolumne wissen, vor einigen Jahren meine Frau unter romantischsten Umständen (Konferenz, Automatenkaffee, Magenverstimmung) kennengelernt habe. Mittlerweile ist das Land zu meiner zweiten Heimat geworden. Ich verzehre die landestypischen Speisen ohne grössere Verdauungsbeschwerden und beherrsche die Sprache so weit, dass mein Gegenüber nicht glaubt, ich hätte gerade einen Schlaganfall erlitten.

Zu meinem Glück fehlte nur noch eines, und zwar eine «Dzialka» (Dschauka). Sie ist das Pendant zur russischen Datscha. Ein holzgewordener Traum im Grünen, wohin man sich in den heissen Sommermonaten zurückziehen kann. Die Dzialka ist ein Sehnsuchtsort. Wenn die Leute von ihr sprechen, fällt die Schwere des Lebens von ihnen ab und sie fühlen sich so leicht, als würde gerade ein linder Sommerwind ihre Wangen streicheln.

Auf Deutsch bedeutet das Wort ungefähr so viel wie «Wochenendhäuschen im Grünen», und man hört den Leuten den Unmut an, in einer Sprache zu leben, wo selbst das Leichte so unglaublich schwer daherkommt.

Eine Dzialka also. Wir haben gesucht und gesucht. Lange schien es nur ein Traum zu sein, an den wir selber nicht so recht glaubten. Und dann ging auf einmal alles sehr schnell. Meine Frau fand im Internet ein Grundstück, das in unsere bescheidene Preisklasse passt. Dass es so unverschämt günstig war, liegt an der Erde, die zur schlechtesten Kategorie gehört. Purer Sand. Ein Wunder, wenn da jemals eine Kartoffel wachsen wird, geschweige denn die Erdbeeren und Orangen, von denen unser Sohn jetzt schon träumt.

Doch das hat uns nicht abgehalten. Auch nicht, dass der Verkäufer, der gemeinsam mit seinem volltätowierten Papa zum Notar-Termin erschienen war, es verdächtig eilig hatte. Triumphal setzten wir unsere Unterschrift unter den Vertrag. Draussen umarmten wir uns. Wir haben eine Dzialka!

Ein paar Tage später lasen wir in den Nachrichten, dass sich Trump mit Putin treffen will, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Dass dieser Friede auf Kosten der Ukraine geht, die damit faktisch entmündigt und zum Abschuss freigegeben wird, ist ebenso klar wie dass Putins imperialistische Gelüste damit nicht zu Ende sind.

In Polen jedenfalls macht man sich darüber keine Illusionen. In fünf Jahren, so spekuliert man, könnten sich die russischen Truppen genug regeneriert haben, um als nächstes die Moldau anzugreifen. Aber vielleicht geht auch alles viel schneller. Schliesslich ist Putin schon über siebzig.

Zar Alexander, sein grosses Vorbild, war in dem Alter schon tot. Und auch Trump, der Führer der freien Welt, wird nach seiner verunglückten ersten Amtsperiode keine Zeit mehr verlieren, um der Geschichte seinen Stempel aufzudrücken. Das Zeitalter der Vernunft scheint endgültig vorbei zu sein. Neu gilt die Regel: Was auch immer geschehen kann, geschieht.

Am vergangenen Wochenende sind wir zu unserem Grundstück gefahren. Nebel lag über den Feldern, dahinter schimmerte das matte Licht der Januarsonne und verlieh allem eine fast schon surreale Atmosphäre. Alles war leicht. Die Geräusche gedämpft, die Welt weit weg.

Letzte Woche lag hier noch Schnee, und der Boden war feucht und matschig, als wir ausstiegen und wie verirrte Hühner über unser leeres Grundstück stolperten. Erstmal müsste hier gerodet werden. Und dann würden wir Bäume pflanzen, solche, die schnell wachsen. In fünf Jahren würden sie schon hoch sein. Fast meinen wir zu spüren, wie der linde Sommerwind durch ihre Blätter weht und unsere Wangen streichelt.

Lukas Linder begann seine Schreibkarriere als Journalist, heute ist er Autor von Theaterstücken und Romanen. Für diese Kolumne kehrt er zu seinen Wurzeln zurück und schreibt über Gelesenes aus dem Blätterwald. Linder lebt in Polen und der Schweiz.

Mehr von Linder gibts in seinem neuen Buch «Charly Broms Dilemma». Ende August im Kein & Aber-Verlag erschienen, handelt es von einem Todesfall, der den Protagonisten in die Vergangenheit zurückführt, zu den Geheimnissen seiner Familie.

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